2011 | Heimatkalender | W. Dufhues, HJ Brüning
Vier Türme prägen das Stadtbild: St. Martin, St. Josef, Fernmeldeturm & St. Aqua
Sendenhorst Ein Blick in die Sendenhorster Stadtgeschichte verrät, dass im Selbstverständnis der Bürgerinnen und Bürger Sendenhorst lange als Stadt der
Brennereien galt, als die Heimat des Sendenhorster oder auch des Münsterländer Korns. Die Brennereien, deren Anfänge in der Zeit nach dem Siebenjährigen Krieg - etwa ab 1763 - gesehen werden, hatten
seinerzeit für die Stadt eine große wirtschaftliche Bedeutung. Einer Aufzeichnung aus dem Jahre 1888 über die Branntweinbesteuerung in Stadt und Kirchspiel ist zu entnehmen, dass damals 17
Brennereien in den städtischen Steuerlisten erfasst waren. -
Eine Vielzahl hoher, rauchender Kamine prägten das Bild der Stadt bis zur Stadtkernsanierung in der zweiten Hälfte des20. Jahrhunderts. Dieser tiefgreifenden Veränderung des Stadtbildes mussten die
noch vorhandenen Brennerei- und Wirtschaftsgebäude und oft auch Wohnhäuserweichen, um modernen Architekturen Platz zu machen. Nach der Erneuerung des Stadtkerns wurde schnell vergessen, wie die
Brennereien und Brennerfamilien das Leben in und dasBild der Stadt über 140 Jahre geprägt hatten. Insbesondere der jüngeren Generation, den Neubürgerinnen und Neubürgern
Bild: Brennerei Graute-Hesse, heute Besitz Kleinhans, von Norden Bild: Brennerei Graute-Hesse, heute Besitz Kleinhans, von Süden
sowie den Besuchern fällt es heute schwer, sich das Leben in dem ehemaligen Brennerstädtchen vor der Stadtsanierung vorzustellen. Dies war für den im Jahre 2004 auf Initiative von Frau Dr. Ulrike
Frede neu gegründeten Arbeitskreis Stadtgeschichte des Heimatverein Sendenhorst e.V. Anlass, die Geschichte der Sendenhorster Kornbrennereien aufzuarbeiten. Das Ziel war eine gleichnamige Ausstellung
im Jahre 2007, welche große Beachtung fand. Zum Abschluss des stadtgeschichtlichen Projektes sind 2009 durch den Heimatverein alle ehemaligen 12 Brennereistandorte im Innenstadtbereich mit
Informationstafeln versehen worden. Ein Flyer führt den Besucher zu den einzelnen Objekten.
Die Brennerei Graute-Hesse wurde im 1.Quartal des 19. Jahrhunderts von Christian Silling gegründet. Spätere Besitzerwaren die Familien Westhoff und Meyer. Brennereibetriebe besaßen für damalige
Verhältnisse auch häufig eine größere Viehhaltung, um die anfallende Schlempe aus der Branntweinherstellung zu verwerten. Brennereibetrieb und Viehhaltung erzeugten in der ganzen Stadt einen
intensiven Geruch nach Maische und Exkrementen. Im Rahmen der Stadtsanierung erwarb die Familie des bekannten Bildhauers Bernhard Kleinhans den Graute-Besitz und sanierte das Haupthaus
denkmalgerecht. Wenige Schritte weiter treffen wir auf das schmucke Fachwerkhaus der ehemaligen Brennerei Brüning, welche etwa 1767 gegründet wurde. Dieses Gebäude ist besonders erwähnenswert, weil
hier 1866 die "Sparkasse der Stadt Sendenhorst und des Amtes Vorhelm" gegründet wurde und der Brennereibesitzer Heinrich Brüning erster Sparkassen-Rendant war. Umfangreiche Wirtschafts- und ein
massives, imposantes Brennereigebäude wurden bei der Stadtsanierung unwiederbringlich vernichtet. Gegenüber befand sich auf dem engen Raum zwischen West- und Schulstraße die Brennerei
Arens-Sommersell. 1878 wurde diese Brennerei von dem Ehepaar Josef und
Bild: Die ehemalige Brennerei Brüning, 1866 die erste Sparkasse Berta Arens-Sommersell geb. Tawiede gegründet. Ab 1918 übernahm sie der einzige Sohn Bernhard Arens-Sommersell. Dieser verstarb jedoch
unerwartet im Jahre 1949 und sein erst 20jähriger Sohn Josef (gen. Seppel) musste früh die Verantwortung für das Unternehmen tragen. Josef Sommersell heiratete Magdalene Roeren-Schotte. Sie besaß den
Hof Gut Geilern und die dazugehörende Brennerei. Im Jahre 1970 wurden beide Brennereien auf dem Gut Geilern in der Bauerschaft Sudfeld vereint. In Außenbereichen der Stadt werden heute außerdem noch
die Brennereien Horstmann und Werring betrieben. Auf dem Grundstück der heutigen Volksbank Sendenhorst befand sich früher die Wirtschaft des Gastwirtes B.P. Topp, welcher dort Mitte des 19.
Jahrhunderts eine Kornbrennerei gründete. 1886 kam die Brennerei mit Gaststätte in den Besitz der Familie Ridder, welche das Hotel Ridder eröffnete und führte. 20 Jahre später wechselten1906 die
Besitzverhältnisse erneut, diesmal zur Familie Herweg. Wann der Brennereibetrieb eingestellt wurde ist nichtmehr bekannt. Das Hotel Ridder mit Saal betrieb und Kino betrieb die Familie Herweg bis
1966. Die Volksbank Sendenhorst baute auf diesem Grundstück ein neues Gebäude. Bild: Brennerei Arens-Sommersell Bild: Wirtschaft des Gastwirtes B.P Topp, seit 1866 Hotel Ridder, seit 1968 Gebäude der
Volksbank
Wo sich heute auf der Kirchstraße ein großes Schuhhaus befindet, betrieb im Haus Nr. 106 seit Beginn der 1860er Jahre Edmund Panning das Kornbrenner-Gewerbe. Eine Schankwirtschaft existierte hier
bereits um 1856. Die Rückseite seiner Hausstätte grenzte an die Synagoge der jüdischen Gemeinde. Sein Nachbar zur Linken, Apotheker Th. Pottmeyer, waren die üblen Gerüche und der Lärm des
Brennvorgangs sowie der Qualm des zu niedrigen Schornsteins Grund zur Klage gegen den Brenner Panning. Erst nach etlichen Jahren konnte der Streit 1928 durch Intervention des Landrates Fenner zu
Fenneberg beigelegt werden. 1944 erbte das Anwesen ein Dr. Hallermann. Danach wurden Brennerei und Gaststätte noch viele Jahre bis zur Stadtkernsanierung von den Familien Zurmühlen, Bröggelhoff und
Kersting betrieben. Geht der Betrachter an der eben erwähnten Apotheke vorbei steht er vor dem Wohn- und Geschäftshaus der Familie Melzer, an dessen Stelle Mitte des 19.
Bild: Edmund Pannings Kornbrennerei mit Schankwirtschaft seit 1856
Bild: Das 1968 errichtete Gebäude der Volksbank, vormals Hotel Ridder
Jahrhunderts der Gastwirt Anton Neuhaus eine Kornbrennerei betrieb. Über Leistung und Produkte dieser Brennerei ist nichts mehr bekannt. Später befand sich hier die Gaststätte Suermann, welche lange
von den Geschwistern Gertrud und Josefine Suermann geführt wurde. Nachdem Tod von Gertrud Suermann im Jahre1959 übernahm das Ehepaar Hubert und Liselotte Wessel dieTraditionsgaststätte mit Saal. Sie
war auch das Vereinslokal des Kirchenchores Cäcilia und des Gesellenchores. Er war auch Ausspannhof für die Bauernfamilien, welche an Sonn- und Feiertagen mit der Kutsche zur Kirche fuhren.
Siekonnten bei Suermann und auch anderen Gasthäusern ausspannen und ihre Pferde im Hof in Boxen unterstellen.
Bild: Kornbrennerei des Gastwirtes Anton Neuhaus, später Suermann und Wessel, Vereinslokal des Kirchenchores, Cäcilia und des Gesellenchores.
Wir benutzen um zu unserem nächsten Brennereiobjekt zu gelangen das "Fuselpättken". Hier treffen wir auf die Rückseite des heutigen Gasthofes "Zur Börse". Das historische Gebäude und andere nicht
mehr existierende Gebäudeteile gehörten zur Kornbrennerei Laink-Vissing welche bis in die 1960er Jahre den Sendenhorster Korn herstellte und vermarktete. Im großen Gastzimmerbefand sich die
Brennerei, Kesselhausund hoher Schornstein standen im heutigen Biergarten. Gastwirt Wilhelm Böcker gründete um1791 diese Brennerei an der Oststraße. Er hat das Hefeverfahren in seinen Lehr- und
Wanderjahren in Holland erlernt und mit nach Sendenhorst gebracht. Sein Sohn, Johann Bernhard übernahm die Brennerei und dessen Tochter Clara heiratete 1873 Johannes Laink-Vissing aus Wüllen. Das
Ehepaar bekam den Sohn Heinrich, welcher1910 Elise Ostermann aus Walstedde zur Frau nahm. Elise Laink-Vissing übergab Anfang der 1950er Jahre die Brennerei an ihren Neffen Willy Hankmann. Die Wappen
der Familien Laink-Vissing und Ostermann sind noch heute als Glasbilder in der Gaststätte zu sehen.
Das "Fuselpättken" und den Südgraben in Richtung Norden gehend erreichen wir die Kornbrennerei, welche im Volksmund nur "Osten-Silling" genannt wurde, weil an der westlichen Peripherie ebenfalls eine
Brennerei Silling existierte, die jeder "Westen-Silling" nannte. Das Haus Oststraße 17 war bereits vor der Blütezeit des Branntweinbrennens Heimstätte dieses Handwerks.
Bild: Heinrich Laink-Vissing
Bild: Kornbrennerei "Osten-Silling", 1857 wurde hier der erste Dampfkessel installiert
Bild: Wehrführer der Freiwilligen Feuerwehr Sendenhorst waren die späteren Belreiber der Brennerei JH. Everke
Das Brandkataster von 1768 kennt bereits 5 "Fuselbrenner" und einer war der Bürgermeister Suermann von der Oststraße 17 (späterSilling) mit einem angezimmerten Brennhaus von 3 Gefach. Die Familie
betrieb das Branntweinbrennen nebenberuflich, vorrangig in den Wintermonaten. 1857 wurde beim Brenner Ferdinand Silling der erste Dampfkessel installiert. Auch in dieser Gaststätte konnten die Bürger
der Stadt sich Münsterländer Korn holen, der aus einem Fass im Keller zur Theke gepumpt und im mitgebrachten Flachmann abgefüllt wurde. Silling hatte natürlich die zur Brennerei gehörende Viehhaltung
und betrieb auch einen Ausspannhof.
Wir gehen in Richtung Pfarrkirche und ein weiß verputzter Schmuckgiebel fällt an der Ecke Kirch- und Neustraße auf. Bis zur Stadtkernsanierung wurde hier die landwirtschaftliche Brennerei J.H. Everke
betrieben, die etwa um 1796 als Dampfkornbrennerei von dem Kaufmann Heinrich Everke gegründet wurde. In den 1930er Jahren exportierte die Brennerei Everke mit großem Erfolg eigenen Korn, Liköre und
sogar ein Whiskey-Imitat nach Übersee. Die späteren Brennereibetreiber, Wilhelm und Heinz Everke waren von 1907 bis1967 zusammen 60 Jahre Wehrführer der Freiwilligen Feuerwehr Sendenhorst. Die
damaligen Wirtschaftsgebäude in der Neustraße sind 1983/ 84 einem modernen Wohn- und Geschäftshaus gewichen. Nach fast 180 Jahren Brennereitradition war Ekhart Everke, der letzte
Brennnereibesitzer.
Der Kirchstraße nach Westen folgend, erreichen wir an der Kreuzung Schulstraße/Nordstraße die ehemalige Gaststätte und Kornbrennerei Jönsthövel. Diese wurde1830 durch Heinrich Beumer gegründet.
Bild: Kornbrennerei Jönsthövel, 1830 gegründet durch Heinrich Bäumer
Das für den Brennvorgang benötigte Getreide wurde von der Nordstraße aus mit einem Balkenaufzug auf den Dachboden des Wohnhauses befördert und dort gelagert. Im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts
erwarb die Familie Jönsthövel das Anwesen. Sie richtete eine Schankwirtschaft ein, in der nicht nur der hausgebrannte Korn, sondern auch wichtige Kolonialwaren, wie Zucker, Salz, Waschmittel oder
Petroleumverkauft wurden. 1945 diente das Wohnhaus der Familie der belgischen Besatzung für ein Jahr als Offizierskasino. Nach dem Tod von Theodor Jönsthövel im Jahr 1961 wurde seine Nichte, Hermine
Schulte, Eigentümerin. Der Abriss der Brennerei und insbesondere des Wohnhauses wurde von vielen Bürgern bedauert. Heute würde der Denkmalschutz eine solche Entscheidung unmöglich machen.
Am Rande der früheren, nordwestlichen Stadtbefestigung, die 1773 eingeebnet wurde, befand sich früher die kleine Brennerei von Heinrich Silling (ohne Bild). Bis in die1950er Jahre arbeitete man bei
"Westen-Silling" nur mit einem Niederdruckkessel. Die Brennerei stellte schon sehr früh Liköre her, die sie auch selbst vermarktete. Frau Silling betrieb im Vorderhaus noch lange ein
Textilwaren-Geschäft. Nachkommen aus dieser Familie sind nicht mehr in Sendenhorst wohnhaft. Ein wertvoller, alter Grabstein erinnert auf dem Friedhof an Heinrich Silling.
Bild: Kornbrennerei Jönsthövel nach Aufhebung der Gastwirtschaft, nach 1961 abgerissen
Bild: Kornbrennerei Theodor Bonse, 1880 gegründet, Giebelansicht, unten: heutiger Zustand
Auf der gegenüberliegenden Straßenseite führt unser Rundgang durch die Südenpromenade zu unserem letzten Brennereiobjekt. Es handelt sich um die 1880 von Theodor Bonse gegründete Kornbrennerei. Sein
Sohn Eberhard Bonse errichtete dazu auch einen Schornstein jenseits der früheren Grabenanlage. Den nötigen Abzug erbrachte ein Schacht, der unter der jetzigen Promenade vom Kesselhaus zum
Schornsteinführte und einmal im Jahr zur Reinigung durchkrochen werden musste. Es handelt sich hier um den letzten Brennereikamin in der Innenstadt. Er wurde als Zeugnis der Brennereitradition im
Jahre 1985 unter Denkmalschutz gestellt.
1972 vereinigten sich die Brennereien Bonse und H. Brüning zu einer Gemeinschaftsbrennerei. Rudolf Bonse, der letzte Besitzer der Brennerei, starb 1980.Heute befindet sich die Brennerei auf dem Hof
Schulze-Roetering in Ahlen-Borbein.
Hier endet der Rundgang über den Sendenhorster Brennereipfad. Noch ausführlichere Informationen und Geschichten zur Brennereitradition bietet das Buch "Schlote, Schnaps & Schlempe" Die
Kornbrenner von Sendenhorst welches über den Heimatverein Sendenhorst e. V. für 7, 00 Euro bestellt werden kann. Grabstein Heinrich Sillings