Heimatverein Sendenhorst e.V. - *1925
Heimatverein Sendenhorst e.V. - *1925

Presseberichte aus den Jahren 1990ern


Zwischen St. Martin und St. Aqua - Chronik der 4 Türme der Stadt  A. Mefus | Heimatkalendar | 1994


Vier Türme prägen das Stadtbild: St. Martin, St. Josef, Fernmeldeturm & St. Aqua

Sendenhorst Vier Türme bestimmen die Silhouette der nunmehr 678 Jahre alten Stadt Sendenhorst Es sind der 72 m hohe Kirchturm der Kath. Pfarrkirche St. Martin, der 58 m hohe Turm des Krankenhauses St. Josef-Stift, der 42 m hohe städtische Wasserturm und der 133 m Höhe messende Fernmeldeturm der Post. Die Architektur, die Bauweise und der Baustil der unterschiedlich alten und hohen Bauwerke bleibt außer Betracht.

Turm der St. Martin-Kirche, am 15.11.1865 geweiht / Rechts: "St. Aqua" nennen die Sendenhorster scherzhaft den Wasserrurm

Der Kirchturm St. Martin ist der "Senior" der vier Türme. Im Jahre 1993 konnte er auf das stolze Alter von 125 Jahren zurückblicken. Die alte Kirche von Sendenhorst (eine Kreuzkirche und ein schlichter Bau im romanischen Stil) war im Jahre 1853 zum Abbruch gekommen. Sie hatte bei dem Großbrand am 29. April 1806, als ein großer Teil der Stadt Sendenhorst (allein 154 Wohnhäuser) eingeäschert wurde, schwer gelitten. Der Kireilturm brannte aus, die Glocken schmolzen, und das Mauerwerk des Turmes zeigte weite Risse. Unter Pfarrer Bernhard Lorenheck (1837- 1865) entstand die neue, die jetzige Pfarrkirche. Den Plan daflir entwarf der Dombaumeister Statz aus Köln; die Bauausrührung oblag dem Bauunternehmer Deitmer aus Münster. Für das Sockelmauerwerk und flir den Westturm der Kirche fanden Steine- gewaltige Quader- von den Schleusen des ehemaligen Max-Ciemens-Kanals Verwendung. Die Schiffahrt auf dem Kanal, der hauptsächlich vom Fürstbischof Clemens August von Bayern (1719- 1761) von Münster bis Maxhafen bei Neuenkirchen bei Rheine gebaut worden war, war damals eingestellt worden. Das Material der Schleusen kam zum Verkauf. Im Kirchspiel Greven befand sich eine Steinschleuse, die Pfarrer Lorenbeck, der vorher in Greven als Kaplan tätig war, kannte. Er kaufte diese Schleuse flir den Sendenhorster Kirchenbau. Die gewaltigen Steinquader wurden dann durch Fuhren auf schlechten Wegenjahrelang herbeigeschafft. Oft brachten vier Pferde nur einen einzigen Stein über die etwa 8 Stunden lange Wegstrecke. An einem Dienstag, dem 21. August 1855, wurde in Anwesenheit des münsterischen Bischofs Dr. Johann Georg Müller der Grundstein flir die neue Kirche gelegt, und wiederum an einem Dienstag, dem 14. November 1865, konnte der genannte Bischof nach mehr als 10-jähriger Bauzeit das Gotteshaus einweihen. Der Initiator und Erbauer der Kirche, Pfarrer Bernhard Lorenbeck, hat die Einweihung nicht mehr erlebt; er starb - tielbetrauert von der ganzen Gemeinde - am 6. Januar 1865. Unter seinem Nachfolger Johann Reinermann (1865- 1872) wurde im Jahre 1868 der große Westturm fertiggestellt und ebenfalls eingeweiht. [Höhe: 78 Meter] Im Turm wurden die 1834 von dem GIockengießer Peter Boitel, einem gebürtigen Franzosen aus Düren, gegossenen vier Glocken aufgehängt. Zwei von ihnen mußten bereits im Kriege 1914/18 für Kriegszwecke abgegeben werden; sie wurden später durch zwei neue ersetzt. Im letzten Krieg mußten gleich alle vier Glocken für Rüstungszwecke zur Verfügung gestellt werden. Erst 1949 wurden im Turm der Kirche St. Martin vier neue Glocken - gegossen von der Fa. Petit und Edelbrack in Gescher- aufgehängt. Unter Pfarrer Josef Brink (1963- 1981) erhielt der Westturm statt der bisherigen, stets reparaturbedürftigen Schieferahdeckung erstmals eine Kupfereindeckung. Stolz wehte auch in früheren Jahren an besonderen kirchlichen Festlagen wie Erstkommunion oder Fronleichnam am hohen Martinsturm die gelbweiße Kirchenfahne. [So wie auch im Kirchenjahr 2000]

Das nächste zu beschreibende Bauwerk ist der Turm des St. Josef-Stifts. Vor zwei Jahren, am 12. Januar 1992, jährte sich zum 100. Male der Tag, an dem Joseph Spithöver, der Stifter des Sendennorster St. Josef-Stifts, in Rom verstarb. Der gebürtige Sendenhorster, der als gelernter Buchbinder auf Wanderschaft ging und später in Rom zu großem Reichtum gekommen war, hat seiner Heimatstadt das alte St. Josef-Stift bezeichnete Krankenhaus geschenkt. Er hat für dieses Vorhaben in den Jahren 1887 bis 1889 762.000 Goldmark gestiftet. Die Grundsteinlegung für das Haus erfolgte im März 1887; die Einweihung in Gegenwart des Stifters am 16. September 1889. Die Bauausfüihrung für das St. Josef-Stift lag seinerzeit in den Händen des münsterischen Baumeister und Architekten Wilhelm Rincklake. Das markanteste und weithin sichtbare Wahrzeichen der Stiftung ist der 58 Meter hohe Turm inmitten der seitlichen Gebäudetrakte und des Zugangs zur Stiftskapelle. Die Unterhaltung des Turmes - vornehmlich des Turmhelmes - bereiteten dem Kuratorium und der Verwaltung zunehmend Sorgen. So war Anfang 1958 bei der Erörterung der Krankenhaus-Erweiterung der Plan aufgetaucht, den Turmhelm abzutragen, um die auf das Jahr umgerechneten Unterhaltskosten von ca. 2.000 DM zu sparen. Erfreulicherweie wurde der Plan verworfen. Später erhielt der Turm eine Kupfereindekkung. Auch das Geläut der Stiftskirche ist vor einigen Jahren durch klangvollere Glocken ersetzt worden. Wer sich der Stadt Sendenhorst vom Süden oder Westen her nähert, sieht beide Kirchtürme, deren Kupfereindeckung inzwischen Patina angesetzt hat, von weitem grün schimmern; ein Anblick, der jedem Sendenhorster heimatlich anmuten dürfte.

Der dritte Turm im Bunde ist der Wasserturm im Westen der Stadt, auch scherzhaft "St. Aqua" genannt. Er enttand 1950/51, als in Sendenhorst die städtische Wasserversorgung ein weitverzweigtes Rohrleitungsnetz verlegt wurde. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte jedes Haus eine mehr oder weniger gute Wasserversorgung aus eigenem Brunnen. Diese waren vielfach in der Nähe der früheren Festungsgräben angelegt und förderten mittels Handpumpen nicht immer das beste Wasser zutage. Als dann 1950 überall die Wasserleitung verlegt war, hieße stolz in der Lokalpresse: "Endlich Wasser! Lange, sehr lange haben die Sendennorster durch trockene Sommer hindurch auf eine städtische Wasserleitung warten müssen. 1950 erfüllte ihre Hoffnungen! In Hand- und Spanndiensten baute die männliche Bevölkerung in wenigen Monaten ein weitverzweigtes Versorgungsnetz vom Wasserwerk auf der Hardt durch die ganze Stadt, und schon seit etlichen Wochen tropft aus den Hähnen in allen Haushaltungen echtes städtisches Hardtwasser. Als Krönung dieser für die Zeit wohl ziemlich einmaligen Leistung wartet der Wasserturm mit einen 42 m auf seine Vollendung. Sein Fassungsvermögen von 400 cbm wird die Sendenhorster allen Wassersorgen entheben." Anfang Mai 1951 war der Wasserturm vollendet. Er ist ganz aus Eisenbeton errichtet. [Abbruch 1999] 300 Festmeter Holz sind dabei als Gerüst und Schalung ge- und verbraucht worden. Allein für den Bau des Turmes waren 1.500 cbm Rheinkies erforderlich. Der Turm hat eine Höhe von 42 Meter. Das 8m hohe und breite Wasserbecken ist ebenfalls ganz aus Eisenbeton und in einer Höhe von30m aufgesetzt worden. Von dem Fassungsvermögen des Beckens standen stets nur 300 cbm Wasser zur Trink- und Wirtschaftswasserversorgung zur Verfügung, 100 cbm Wasser bildeten eine ständige Reserve als Löschwasser. Inzwischen hat der Wasserturm ausgedient, da durch Druckpumpen von Gelsenwasser das gesamte Rohrleitungssystem der städtischen Wasserversorgung im Raum Sendenhorst ausreichend mit Wasser versorgt werden kann.

Der letzte, aber mit 133 Metern der größte Turm ist der Fernmeldeturm der Bundespost. und sein Standort ist nordöstlich der Stadt in der Nähe des Alten Postweges und unweit des neuen Industriegebiets Schörmel. Mit seinem Bau wurde im Juli 1982 begonnen. Die erste Plattenebene beginnt in einer Höhe von 75 m, die nächste in 83 m Höhe. Der Überbau über den Betonturm fangt in der Höhe von 103 m an. Die reinen Baumaßnahmen waren Ende Oktober 1983 abgeschlossen. Die Baukosten betrugen 4 Millionen DM. In der Zwischenzeit hat die Post an, in, um und auf dem Turm für mehrere Millionen DM technisches Gerät montiert. Es sind Sende- und Empfangsantennen für den terrestrisehen Empfang von Ton- und Fernsehprogrammen, für Richtfunk- sowie City-Funkverbindungen installiert. Vom Turm werden inzwischen 96.000 Haushalte mit Kabelprogramm versorgt. Das Fundament des 4.300 Tonnen schweren Turmbaues steckt 5 m tief im Erdboden. Bis zum Betriebsgeschoß sind 390 Treppenstufen zu erklimmen; es ist aber auch ein Aufzug vorhanden. Die Turmschwankung an der Spitze kann bei starker Sonneneinstrahlung oder gesteigerter Windeinwirkung bis zu 40cm betragen. Nachts ist die Turmspitze durch rote Warnlichter markiert und dadurch weithin sichtbar. Anläßlich des 100-jährigen Bestehens der Freiw. Feuerwehr Sendenhorst im Jahre 1985 wehte erstmals eine große Fahne von dem hohen Turme.

    


WLE beendete Postkutschenromantik - Verkehrsentwicklung am Beispiel Sendenhorst  A. Mefus | Heimatkalendar | 1993


In früheren Zeiten war das Reisen mehr als beschwerlich und sehr zeitraubend. Zu Lebzeiten Goethes (1749-1832) reiste man entweder hoch zu Roß oder mit der Post- bzw. Reisekutsche, wobei zum Beispiel für die Entfernung von Augsburg bis Venedig (340 km) sieben Tage oder von Lübeck bis Brügge (590 km) zwölf Tage gerechnet wurden -

Während ab 1742 durch die Thurn- und Taxische Post eine Reitpost von Münster über Sendenhorst, Ahlen. Werl, Arnsberg, Siegen bi nach Frankfurt ging, kam die Postkutsche erst spät nach Sendenhorst Erst ab 1829 konnte man von Sendenhorst aus mit der Po t verreisen, vorher war es nur von Münster oder Drensteinfurt möglich. Die neue Personenpost ging morgens um 10 Uhr von Beckum ab, fuhr dann über Ahlen und erreichte am frühen 1~achmittag Sendenhorst und war nach fünf weiteren Stunden in Münster.

Als 1847 die Köln-Mindener Eisenbahnstrecke eröffnet wurde, blieb die Personenpost zunächst noch bestehen, kam aber nach Übergabe der Bahnstrecke Münster-Hamm am 27. Mai 1848 zum Erliegen. Ab 1. Juni 1848 brachte eine Wagenpost Personen, Briefe und Pakete von Sendenhorst zum nächstgelegenen Bahnhof der Staatsbahn. nach Drensteinfurt.

Als am l. Oktober 1903 die Bahnstrecke Neubeckum-Münster durch die Westfälische Landes-Eisenbahn (WLE) in Betrieb genommen wurde, war die Postkutschenromantik zu Ende. Die neue Eisenbahnstrecke wurde so stark von Fahrgästen in Anspruch genommen daß sich die Züge bedeutend verspäteten; allein am ersten Tag des fahrplanmäßigen Verkehrs wurden von Sendenhorst aus 4 77 Personen und 12 Hunde befördert.

1937 wurden 34.902 Fahrkarten verkauft und in Tonnen 1.231 Stückgut und 20.527 Wagenladungen befördert; 194 7 96.585 Fahrkarten, 790 Tonnen Stückgut und 34.08 l Tonnen Wagenladungen; 1957 49.496 Fahrkarten, 727 Tonnen Stückgut und 9.012 Tonnen Wagenladungen; 1967 30.942 Fahrkarten, 341 Tonnen Stückgut und 17.450 Tonnen Wagenladungen. 1956 verkehrten werktäglich durch den Bahnhof Sendenhorst 17 Triebwagenzüge, davon zwei Eiltriebwagen von Warstein nach Münster und zwei Triebwagen von Sendenhorst direkt nach Münster und zurück, fünf Dampfzüge für den Personenverkehr und vier Güterzüge.

Der Personenverkehr mit Triebwagen ist am 31. Mai 1975 eingestellt worden; der letzte Personenzug verkehrte arn 27. September 1975. Seitdem verkehren auf der Strecke nur noch Güterzüge. Der Bahnhof wurde zwischenzeitlich verkauft.

Im Zusammenhang mit der Verkehrsentwicklung ist das Fahrrad (das Hochrad kam um 1880) mit zu erwähnen. Es ist nicht bekannt, wer in Sendenhorst um die Jahrhundertwende das erste Fahrrad besaß. Dafür ist aber aus dem Jahre 1902 die Provinzial-Fahrverordnung für den Radfahrverkehr auf öffentlichen Wegen und Plätzen bekannt. "Bei lebhaften Verkehr"', so war in der Verordnung vorgechrieben. "an Straßenkreuzungen muß der Radfahrer langsam fa hren oder absteigen." Jedes Fahrrad mußte mit einer lauttönenden Glocke versehen sein. Au drücklieh war vermerkt. daß die Glocke nur an Kreuzungen oder beim Begegnen und Überholen von Personen und Fuhrwerken ertönen durfte. Lästiges Läuten war verboten. Nach dem Kriege 1945 erlebte der Radsport in Sendenhorst durch einen neugegründeten Radsportverein ,.Diana" eine kurze Blütezeit. Das Fahrrad ist nach wie vor für viele Verkehrsteilnehmer ein wichtiges Fortbewegungsmittel.

Trotz der Eisenbahnverbindung durch die WLE blieb der Frachtverkehr mittels Pferde fuhrwerken (Th. bzw. R. Geilern und Th. Beumer) nach 1903 bestehen. der zweimal wöchentlich zwischen Sendenhorst und Münster - auch noch in den ersten Jahren nach 1945 - durchgeführt wurde. Überhaupt war das Ackerbürgertum und damit auch der Fuhrbetrieb mittels Pferden - in den 30er Jahren auch noch mit Kühen - in Sendenhorst stark vertreten . Allein bis Mitte unseres Jahrhunderts waren innerhalb des Promenadenringes 20 Landwirte bzw. Ackerer mit Pferden und Fuhrwerk ansässig. Hinzuzuzählen sind die früheren Brennereien. die durchweg schwere Zugpfe rde für ihre Landwirtschaft und sogenannte .. Rassemänner" (Warmblüter) für ihre leichteren Melkwagen besaßen. In der Stadt gab e fo lgende Kornbrennereien: Arens-Sommersell. Bonse. Everke. Graute. Jönsthövel. Laink- Vissing, Panning. Roetering. Joh. Silling und Jos. Silling.

Zumeist hatten auch die einheimischen Bäckereien Pferd und Gefährt zum Brotausfahren. Das gleiche galt für Bierverleger (Silling, Brückmann und Löckmann) sowie für Händler der Verschiedenen Branchen. Selbstverständlich be aßen auch die Kohlen- Kohlenund Kunstdüngerh ändler (Lütke-Verspohl, Werring, Kersting, Recker und Dünnewald) entsprechendes Pferdefu hrwerk. Zudem hatte Sendenhorst zwei Straßenwaagen - Hrch. Löckmann (Osttor) und A. Johannknecht (Ostgraben) - aufzuweisen. Auch der letzte Landgendarm (Peter Herken) ritt hoch zu Roß durch Sendenhorst Ebenso besaß eine der damaligen Lehrpersonen (Theodor Knieper) Pferd und Dogcart und war oft damit auf Spazierfahrt.

Selbst auf dem letzten Weg (genau bis Februar 1967) wurden die Sendenborster mit Pferd und Wagen gefahren. Es war der mit Blumenkränzen behangene, von zwei mit schwarzem Tuch bedeckten Pferden gezogene Leichenwagen; vorn auf dem Bock in schwarzem Umhang und mit Zylinder der Kutscher (zumeist Roben Lütke-Verspohl sen.).

Der damalige Straßenlärm war eindeutig durch den landwirtschaftlichen Fuhrbetrieb geprägt: Rasselten doch schon in der Frühe die Melkwagen der Brennereien über das Straßenpflaster, dann folgte das Kannengeklappere des Milchfuhrmanns, dann die schweren Fuhrwerke und Bockkarren der Brennereien, landwirtschaftlichen Betriebe und Kohlenhändler. Sonntags kam zur Abwechslung das Pferdegeklap per und das Rollen der Kutschen der Bauern hinzu, die zum Kirchgang in die Stadt fuhren und an bestimmten Gas tstätten und Häusern ausspannten und dort in den Stallungen ihre Pferde unterstellten.

Die weitere Verkehrsentwicklung brachte das Kraftfahrzeug. Einer der ersten, der in Sendenhorst ein Auto besaß, war Dr. Josef Roerkohl. der von 1910 bis 1915 hier in Sendenhorst praktizierte, am 20. Juli 1915 in der Raphaelsklinik in Münster verstarb und in Albersloh seine letzte Ruhestätte fand . Als nach dem Ersten Weltkrieg die Zahl der Autos verstärkt zunahm, kam es zur Einrichtung der ersten Tankstellen. In der Stadt boten Fr. Happe, Wilh. Meyer und Th. Jaspert (Oststr.) und B. Herweg. B. Werring und Th. Schulze-Elmenhorst (Weststr. ) Treibstoffe dieser Art an. Später kam die Tankstelle Hrch. Grothues (Osttor) hinzu. Auch das Hauderergewerbe entwickelte sich. Vor dem Kriege 1939/45 boten vier Taxiunternehmen ihre Dienste an (H. Decker, W. Schubert. W. Möllers und W. Hövelmann).

Den ersten Lkw in Sendenhorst besaß. soweit bekannt, Josef Feidieker, den zweiten August Holtkamp. Ein Busunternehmen hat ich bis heute noch nicht in dem Ortsteil Sendenhorst - im Gegensatz zum Ortsteil Albersloh - etabliert. Wer einst stolzer Besitzer des ersten Motorrads in Sendenhorst war, konnte nicht in Erfahrung gebracht werden. Nachdem Kriege entstand am Westtor die Tankstelle Schüttelhöfer. an der Lorenbeckstraße die Tankstelle Holtkamp und am Osttor die Tankstelle Tigger. Die Tankstellen Grothues, Osttor; Feidieker, Ostgraben und Stru ll , Ladestraße. bestehen nicht mehr. dafür sind neue, zum Teil betriebliche Tankstellen hinzugekommen. Wie hat sich der Fahrzeugbestand bis heute entwickelt? Stichtag ist hierbei der I. Dezember 1993. Die Stadt Sende nhorst hatte an diesem Tag 12.049 Einwohner. Ebenso waren an dem Stichtag in Sendenhorst insgesamt 8.130 Fahrzeuge registriet; davon 6.937 behördlich zugelassen. Diese Zahl gliedert sich im wesentlichen wie folgt auf: 5.273 Pkw. 182 Krafträder, 75 Kraftomnibusse, 306 Lkw und 528 Anhänger.

    


Sendenhorst 1945/46 - Kontinuität oder Neubeginn? - Unter den Gesetzen der Militärregierung  H. Petzmeyer | Heimatkalendar | 1993


Wir haben uns angewöhnt, den Einmarsch der alliierten Truppen und die bedingungslose Kapitulation Hitlerdeutschlands als die Stunde null anzusehen. Vom 8. Mai 1945 datiert eine neue Zeitrechnung, der Beginn eines gewandelten, friedlichen, toleranten und demokratischen Deutschland. Tatsächlich brauchte die Überwindung nationalistischer und nationalsozialistischer Verhaltungsmuster und Vorstellungen mehr als einige Monate.

Einmarsch der Amerikaner durch die kurz vorher geräumte Panzersperre am Westtor. Aus dem Stadtarchiv, unbekannter Künstler, ggf. Heinz Bäcker?

Wir haben uns angewöhnt, den Einmarsch der alliierten Truppen und die bedingungslose Kapitulation Hitlerdeutschlands als die Stunde null anzusehen. Vom 8. Mai 1945 datiert eine neue Zeitrechnung, der Beginn eines gewandelten, friedlichen, toleranten und demokratischen Deutschland. Tatsächlich brauchte die Überwindung nationalistischer und nationalsozialistischer Verhaltungsmuster und Vorstellungen mehr als einige Monate. Am Beispiel der Stadt Sendenhorst soll gezeigt werden, wie man sich anschickte, sich aus der Vorteilungweit der letzten 12 Jahre zu befreien, wie die Besatzungsmacht Hilfestellung gab, häufig aber auch im gewohnten kolonialen Herrschaftsstil die Tradition einer kommunalen Demokratie nicht zur Kenntnis nahm. Wie viele Landgemeinden des ehemaligen Kreises Beckum hatte sich Sendenhorst ohne äußerliche Blessuren durch Bombenkrieg und Endkämpfe in die Nachkriegszeit gerettet. Die Stadt war seit dem Herbst 1944 mit Evakuierten aus dem Aachener Raum, mit Ausgebombten aus Münster belegt. In den Sälen der Gastwirtschaften und in der Schule hatte sich der flüchtige Stab der Luftwaffe aus Handorf einquartiert. Vom St. Josef-Stift lenkte Bischof Clemens August Graf von Galen sein zerstörtes, geschundenes Bistum. Am Karsamstag kamen die Amerikaner. Ohne Widerstand durchquerten sie die Stadt und wandten ihre Panzer nach Osten, in Richtung Hoetmar. In der Bauerschaft Rinkhöven lieferten ihnen Hitlerjungen der Gebietsführung ein sinnloses Gefecht. Es gab Tote. Mehrere Gehöfte gingen in Flammen auf. Unter dem starken Eindruck der Besatzung durch die Truppen des Feindes schrieb Pfarrer Westermann in die Pfarrchronik:

Der Einmarsch der Amerikaner

In aller Frühe wurde der Karsamstagsgottesdienst vorgenommen, da man stündlich mit dem Eintreffen der Besatzungstruppen rechnen mußte. Schon zwei Tage lang hörte man das Donnern der Kanonen und das Rattern der Maschinengewehre. Kurz nach 1 Uhr fuhren die ersten Panzerspähwagen in die Stadt vom Westen her. Ihnen folgten die Panzer usw. In aller Eile wurden an den Häusern der Stadt weiße Fahnen aufgezogen, und die Kinder zeigten an den Straßenrändern mit ihren weißen Fähnchen ihre friedliche Gesinnung. Man mag darüber denken wie man will. Auf jeden Fall atmete die Stadt auf, als die Besatzung vollzogen war. Den Besatzungstruppen - es waren zumeist Amerikaner - muß nachgesagt werden. daß sie sich durchweg human betragen haben. Gewalttaten und Plünderungen sind nur wenige bekannt geworden. Neger! Die Besetzung der Stadt Sendenhorst geschah fast ohne einen Kampf. Nur im Kirchspiel und zwar in der Bauernschaft Rinkhöven vermeinten einige Mitglieder der Hitlerjugend - nicht aus Sendenhorst - das Vaterland retten zu können. Nach einer kurzen Schießerei lagen acht H.J.-Jünglinge tot im Grase und vier schöne alte Bauernhöfe. Ringhoff. Kalthoff, Greiwe und Middrup-Vornholz gingen in Flammen auf. Hier sieht man wieder die Folgen der verhetzten Jugend. Der Volkssturm hat sich geweigert, einen hoffnungslosen Kampf zu beginnen und hat rechtzeitig die Panzersperre am Westtore beseitigt. Der jugendliche Kommandant, der vorher immer den Mund so voll genommen hatte, hatte sich mit der Gebietsführung (!) rechtzeitig in Sicherheit gebracht. So ist es an allen Orten geschehen. Und dabei wollte man jeden Baum und Strauch verteidigen. Traurige Helden! ..

Die Sendenhorster Verwaltung konnte die Stadt nicht, wie andernorts geschehen, den amerikanischen Truppen übergeben, weil es seit 1943 keinen hauptamtlichen Bürgermeister mehr gab. Nach der Pensionierung Bürgermeister Austrups wurde die Stadt von Vorhelm aus durch Amtsbürgermeister Lilienbecker in Personalunion verwaltet. Auf dem Rathaus hielt Obersekretär Hermann Schüttelhöfer die Stellung, ein erfahrener preußischer Verwaltungsbeamter, unterstützt von einigen Hilfsangestellten, vor allem auf dem Wirtschaftsamt. Als die Amerikaner einmarschiert waren, brach für die Sendenhorster Bevölkerung eine kurze aber intensive Zeit vorausschauender Selbstversorgung durch ungestrafte, ja legalisierte Plünderung aus. Bei der Firma Voss auf der Hardt waren tonnenweise Mehl und Zucker ausgelagert worden. Bei Peiler, Suermann und Räkker hatte die deutsche Heeresverwaltung Möbel, Stoffe, Wäsche, Wolldecken, Läufer ... Seife, Seifenpulver und 150 Schreibmaschinen ausgelagert. Die Vorräte galten als herrenlos und man bediente sich entsprechend. Sechs Tage nach Einmarsch der Amerikaner begann die Stadtverwaltung wieder zu arbeiten, ohne ausdrückliche Anweisung der Besatzung. Die "Ortspolizeibehörde" wandte sich mit einem Aufruf an die Bürger:
Sendenhorst, den 4. April 1945

Die Bevölkerung von Sendenhorst wird hiermit aufgefordert, die während der letzten Tage aus dem Lager der Firma Voss im Hardtsteinwerk gelagerten Vorräte an Mehl und Zucker, die für die Ernährung der Bevölkerung bestimmt waren, nach Menge und Gewicht auf dem Büro Voss bei Hotel Herweg anzugeben. Es ist notwendig, daß diese Vorräte der Bevölkerung für den dringendsten Bedarf zugeführt werden können. Ein angemessener Teil kann bei der Anmeldung käuflich erworben werden. Auch die Gebrauchsgegenstände, die aus dem Lager entnommen sind, sind anzumelden.

Der Erfolg dieses Appells mag zu Recht bezweifelt werden. Zwei weitere, schärfer gefaßte Aufrufe werden ebenso wenig genutzt haben. Am 8. April 1945 ernannten die Amerikaner den 65-jährigen Eugen Strotmann zum Bürgermeister. Strotmann war Verwaltungsangestellter der Stadt Münster, Nicht-Parteimitglied und hatte als Ausgebombter in Sendenhorst eine Wohnung gefunden. Anfang Juli wurden Heinrich Thiemann und Wilhelm Meyer als Beigeordnete berufen und vom Landrat betätigt.

Verordnung Nr. 35 über Registrierung der Wähler

Die ersten Wochen gehörten der amerikanischen Besatzung und ihrem Stadtkommandanten. Daß die Bewegungsfreiheit eingeschränkt war, ist verständlich. Schließlich wurde in anderen Gebieten Deutschlands noch erbittert gekämpft. Immerhin durfte sich die Sendenhorster Bevölkerung von 7 bis 18 Uhr zwischen Tönnishäuschen, Hoetmar, Everswinkel, Wolbeck und Albersloh ohne besonderen Passierschein frei bewegen. Außerhalb der Sperrstunde durfte das Vieh auf die Weide getrieben, die Äcker bestellt werden. Wiederholt wurde die Bevölkerung aufgefordert, verborgene Waffen und Munition abzuliefern. Anfang Mai 1945 erließ der Kommandant ein Arbeitsprogramm für Stadtverwaltung und Bürger. Manches war vernünftig, manches entsprang mehr einer Marotte: Wege waren instand zu setzen, Kanaleingänge zu reinigen, die Panzersperren am Westtor zu beseitigen. Als fortschrittlicher Anhänger der Fünf-Tage-Woche ordnete er ferner an: "Reinigung der Straßen: Es wäre zweckmäßig, das Fahren von Stroh, Heu, Erde und Dünger an Samstagnachmittagen zu unterlassen." Die amerikanischen Kampftruppen räumten wie vereinbart die eroberten Gebiete und überließen sie der britischen Militärregierung. Sendenhorst bekam am 28. Mai eine belgische Besatzung. 31 Wohnhäuser mußten ganz oder teilweise für die Soldatenquartiere freigemacht werden. Der Abzug der belgischen Einheit erfolgte am 18. April 1946. Weit davon entfernt, sich als Besiegte zu fühlen, Scham oder Schuld für die Verbrechen der Deutschen zu empfinden, entwickelte die Bevölkerung eine trotzige Widerstandshaltung, die eigentlich gegenüber den Nationalsozialisten angebrachter gewesen wäre. Die Telefonverbindungen der Besatzungsbehörde wurden mehrfach durchschnitten, Telefondrähte entwendet. Ein Bild des Konzentrationslagers Belsen, in dem die Engländer entsetzliche, unmenschliche Zustände aufgedeckt hatten, wurde von der Bekanntmachungstafel gestohlen. Dagegen empfanden die Sendenborster das Exerzieren der Besatzungsgruppen vor dem Rathaus als reine Schikane. Die zwanzigminütige Flaggenparade - Beschäftigungstherapie einer gelangweilten Truppe - wurde von den Deutschen als unzumutbare Verkehrsbelästigung gesehen. Die Kommandos beim Exerzieren störten den Dienstbetrieb auf dem Rathaus. Man war vollauf damit beschäftigt, sich zu beschweren und übersah dabei, daß deutsche Truppen sechs Jahre lang halb Europa besetzt gehalten hatten, meist unter schlimmeren Bedingungen. Pfarrer Westermann drückt in einer Pfarrchronik das aus, was die Einsichtigen damals empfanden (die Uneinsichtigen fühlten sich nach wie vor im Recht). Deutschland ist besiegt. E gibt kein größeres Unglück in der deutschen Geschichte! Schuld ist nicht das deutsche Volk, sondern Hitler. Mit den Verbrechen an den Juden hatten die Deutschen ebenfalls nichts zu tun, die wurden von der Partei begangen:

Rückblick und Wertung

Juni 1945.

Nachdem die deutschen Truppen, besiegt von der Übermacht der Gegner, verlassen von ihrem Gott und Führer, die Waffen gestreckt haben, ist ganz Deutschland von den Engländern, Amerikanern, Franzosen, Kanadiern und Russen besetzt worden. Eine Tragödie hat sich abgespielt, wie sie in der Weltgeschichte in diesem Maße noch nicht gewesen ist. Deutschland ist wehrlos und durch die Schuld der NSDAP ehrlos geworden. Nun ist an das Tageslicht gekommen, was die deutsche Führung durch die Parteigesetze verschuldet hat. Wie konnte es auch anders sein, wenn Menschen durch Lug und Betrug an die Macht kamen. die über sich keine göttliche Macht anerkannten, die den Herrenstandpunkt eines irrsinnigen Nietzsche anerkannten, die nur die Rachsucht kannten und das dummgläubige deutsche Volk mißbraucht zu jeder Schandtat! Aber schuldig an diesem Verbrechen sind auch all die Deutschen. die einen Verbrecher zum Führer gewählt haben, bewußt oder unbewußt, das spielt keine Rolle. Der Papst und die deutschen Bischöfe haben rechtzeitig die Katholiken gewarnt. Ewig aber wird es eine Schmach für einen Katholiken bleiben, wenn er aus Gewinnsucht oder Menschenfurcht sich einer Partei anschloß, die offensichtlich unchristlich und gottlos war. Wenn man diese Tat noch bei einem Beamten etwa verstehen kann, der sonst brotlos geworden wäre. bei einem westfälischen Bauern, Kaufmann und dergleichen wird man nie eine Entschuldigung gelten lassen dürfen. Wenn man auch behauptet, man habe den Kampf gegen die Religion, Kirche und Priester nicht gewollt, man hat aber der Partei durch die Mitgliedschaft den Rücken gestärkt. Und unsere arme, irregeführte Jugend! Wer wird sie wieder auf den rechten Weg führen. Grausam ist das, was man in den letzten Wochen aus den Konzentrationslagern erfahren hat. .. Über 5 Millionen Juden hat die Partei grausam mißhandelt und getötet. Dazu kommen Millionen Fremdarbeiter aus ganz Europa. Dazu kommen dazu viele hunderttausend Deutsche, die man grausam getötet oder gequält hat. Unter diesen befinden sich mehrere tausend katholische Priester, die wohl restlos unschuldig waren. Sendenhorst gedenkt mit Wehmut und Trauer des Nachbarpfarrers aus Hoetmar, Dechant Wessing, der nach 2-jähriger harter Haft in Dachau den Märtyrertod starb. Wenn einer unschuldig war, dann war er es. R.i.p.s.!

Es war ein langer Weg von der widerwillig eingestandenen Niederlage bis zur Erkenntnis, daß die Verbrechen der NS-Diktatur nicht von einer kleinen Parteiclique verübt, sondern vom ganzen deutschen Volk zu verantworten waren. Ein kleiner, wichtiger Schritt auf diesem Weg war die Einübung demokratischer Spielregeln, Wahlen, Meinungsbildung und Mehrheitsentscheidungen. Die Deutschen hatten besonders auf kommunalen Gebiet eine lange demokratische Tradition. Auch im absoluten fürstbischöflichen Staat des 18. Jahrhunderts wurden in Sendenhorst die Bürgermeister jährlich von der gesamten Bürgerschaft gewählt, ihre Amtsführung von einer breiten Mehrheit kontrolliert. Da mochte der englischen Besatzungsmacht nicht bekannt sein oder es paßte nicht in ihre Vorstellung von deutscher Geschichte. Die britische Militärregierung hatte Anfang 1946 in den Städten und Gemeinden einen Beirat auch nichtdurch NSDAP-Mitgliedschaft belasteten Personen zugelassen. Nach englischem Vorbild wurde ein hauptamtlicher Gemeindedirektor bestellt. Der Bürgermeister wurde Vorsitzender des Rats. Im August gab sich die Stadt Sendenhorst auf Anordnung der Militär-Regierung eine Satzung. Die die 1935 vom NS-Regime eingeführte deutsche Gemeindeordnung ablösen sollte.

Kommunalwahlen 1946

Für den 15. September 1946 waren in der gesamten Britischen Besatzungszone Kommunalwahlen ausgeschrieben. Die Vorbereitungen begannen bereits Anfang des Jahres. In einem unglaublich umständlichen zeitraubenden Verfahren ("Mischung aus missionarischem Eifer und schulmeisterlicher Strenge", Schwarze) betrieben die Besatzungsoffiziere die Vorbereitungen der Wahl. Die Wahlakten der Weimarer Zeit, im Stadtarchiv Sendenhorst sorgfältig aufbewahrt, sind schmale Hefter von wenigen Seiten. Die Akte Wahl der Gemeindevertretung 1946 besteht aus ca. 250 Blättern. Neben Unbedenklichkeitsbescheinigungen des Entnazifizierungsauschusses, Wahlvorschlägen und Auszählunganweisungen finden sich immer wieder belanglose Anordnungen, die, da angeblich ungenau übersetzt, außer Kraft gesetzt wurden, noch einmal modifiziert und mit neuem Übersetzungsveruch wieder auf den Schreibtisch kamen. Die Wahlen zeigen, wie zum zweiten Mal politische Eliten ausgewechselt wurden. Die Kommunalwahlen 1933 hatten den Abtritt der Kommunalpolitiker erzwungen, die in der Weimarer Republik verhaftet waren. 1945 hatten ich die Ratsmitglieder der S-Zeit disqualifiziert. Die meisten Männer, die sich zur ersten Nachkriegswahl teilten, waren vor 1933 nicht politisch aktiv gewesen. Es gab also keine Kontinuität. Im Gegensatz zu größeren Städten kam es nur sehr zögerlich zum Wiederaufleben politischer Parteien. Das Zentrum hatte bis 1933 in Sendenhorst alle Wahlen mit klarer Mehrheit gewonnen. 1946 kandidiert nur noch der zeitweilige Bürgermeister Dr. Untiedt für die Deutsche Zentrumspartei. Von den 15 gewählten Ratsmitgliedern waren zwei parteilos, (Brandhove, Stapel; später CDU), einer kandidierte für die SPD (Bücker), die übrigen für die CDU (Dünnewald, Dahlkötter, W. Meyer, Brechtenkamp, Dr. Lintel-Höping, Schmülling, Hölscher, Schulze, Tergeist, Fischer, Münstermann, Th. Höne).

Auffällig ist das hohe Durchschnittsalter der Kandidaten. Die jüngeren waren entweder noch im Krieg oder durch NS-Vergangenheit belastet. Alle Bewerber konnten nachweisen, daß sie keiner Parteiorganisation oder Gliederung angehört hatten . Dr. Untiedt. der 1933-1935 Mitglied der Frontkämpferorganisation " Stahlhelm" gewesen war, gibt eine interessante Bewertung des Stahlhelms, die durch die Akten im Stadtarchiv teilweise bestätigt wird: Aus Opposition gegen die SA und damit auch gegen die NSDAP bin ich nach der Machtübernahme dem Stahlhelm beigetreten, der damals noch keine Organisation der NSDAP war. Man sah in ihn in unserer Gegend die einzige Organisation, die imstande war, den Übertreibungen der NSDAP entgegen zu treten. Der Stahlhelm wurde im Juli 1935 von dem Kreisleiter Scholdra wegen revolutionärer Umtriebe verboten. Der erste demokratische gewählte Rat der Stadt Sendenhorst nach dem Kriege hatte sich den schwierigen Nachkriegsproblemen zu stellen, von denen die Versorgung der Bevölkerung und da Wohnungsproblem (ca. 1000 Flüchtlinge und Vertriebene) besonders akut waren. Als Bürgermeister wurde Schmiedemeister Bernhard Stapel einstimmig gewählt. Am 30. Mai 1947 wurde Heinrich Esser als Stadtdirektor in einer Ratssitzung feierlich in sein Amt eingeführt. Auch dieser Sitzung wurde in dem "Protokollbuch über die Beratung mit den Ratsherren" protokolliert, einer 200 Seiten starken, fest eingebundenen Schreibkladde. Auf dem Vorsatzblatt steht in dekorativer Schrift .. Mit Gott". Die Seiten 1 bis 54 enthalten die Niederschriften der Ratssitzungen der NS-Zeit (letzte Eintragung I. August 1944), Seite 55/56 sind freigelassen. Auf Seite 57 werden die Protokolle fortgesetzt: "Sendenhorst, den 3. August 1945: In der heutigen Sitzung der Beiräte der Stadt Sendenhorst wurde folgendes verhandelt: I. Die Haushaltssatzung ... "Deutlicher konnte man Beständigkeit und Beharrung nicht demonstrieren!

    


März 1945 - ein letztes Gefecht  27.03.1994 . Adolf Vogt


März 1945 - Eine deutsche Passion - Nachdenkliches zum Beginn der Karwoche - Über eines der letzte Gefechte in Sendenhorst / Bauerschaft Rinkhöven. Aus: Recklinghäuser Zeitung Sonntag, 26./27. März 1994, Adolf Vogt Die ursprünglichen Bilder im Bericht konnten nicht rekonstruiert werden. Die eingefügten Bilder zeigen die bei dem Gefecht in Brand geratenen Höfe in der Bauerschaft Rinkhöven.

Es gibt, so sagt man, Geschichten, die das Leben schreibt. Wer hat sie nicht schon erlebt? Diese Geschichten, die sich um ein nachhaltiges Ereignis oder eine schicksalhafte Begegnung ranken. Wir erinnern uns ihrer gern, sei es amüsiert, sei es mit fatalistischer Gelassenheit. Aber gibt es nicht auch Geschichten, die das Leben diktiert? Geschichten von unerbittlicher Konsequenz und brutaler Tragik und noch dazu von Vorgängern so sinn- und verantwortungslos, daß wir sie nicht glauben mögen. Eine solche Geschichte hat sich nicht weit von hier vor nunmehr fast 50 Jahren zugetragen.

Burg Gemen bei Borken Mitte Februar 1945. Etwa 400 westfälische Hitlerjungen sind spätnachmittags im Burghof aufmarschiert. Die offizielle Bezeichnung der Einheit: HJ-Bataillon im Freiwilligenregiment Widukind des deutschen Volkssturms. Die meisten freilich hatte nicht ihr freier Wille hierher geführt. Partei- und HJ-Führung hatten sie zum Einsatz im letzten Aufgebot für die Heimatverteidigung kommandiert. Ein Großteil stammte aus dem Kreis Recklinghausen: unter ihnen Recklinghäuser Gymnasiasten, die nicht als Flakhelfer dienstverpflichtet worden waren.

Bild: Hof Fels-Greive

Gespenstisch erleuchten Fackeln, trotz der Fliegergefahr, die Szenerie. Die Jungen im Alter von 15 bis 17 Jahren sind angetreten, um vom „Reichsvertei- digungskommissar“ Gauleiter Alfred Meyer und dem Führer des HJ-Bann 252 (Vest)" auf eine HJ-Bannfahne vereidigt zu werden. Markige Worte des Gauleiters tönen über den Platz. Die Stimme des mächtigsten Mannes im Gau Westfalen Nord hämmert den Halbwüchsigen ein, was die Partei von ihnen erwartet. Der „anglo-amerikanische Gegner“ (der bereits wenige Kilometer westlich des Rheins steht) sei „mit den Untermenschen der Roten Armee auf eine Stufe“ zu stellen. „Kannst du es ertragen, Kamerad“, so der diabolische Appell Meyers, „daß amerikanische Soldateska in dein elterliches Haus einbricht, daß sie deine Mutter oder Schwester schändet, daß sie deutsche Männer mit Reitpeitschen zusammentreibt und Arbeitssklavenbataillone bildet? Ein unzertrennlicher Block deutscher Menschen wird sich auch hier im Westen dem amerikanischen Gegner entgegenwerfen.“

Das Ganze hatte bewährte Methode. Der Krieg war längst verloren, jedes weitere Blutvergießen unverantwortlich, ja kriminell. Aber mit zynischen Parolen, die zum Standardrepertoire brauner Propaganda gehörten, sucht man im jugendlichen Volksgenossen den Helden zu wecken. Unmittelbar vor der Vereidigung noch hatten die Hitlerjungen den beiden Parteigewaltigen in einem simulierten Gefecht ihre Einsatzbereitschaft demonstrieren müssen.

Bild: Hof Middrup

Ende Februar wird die Einheit nach Haltern verlegt und bezieht Quartier in Seenähe - in der Bannschule, im Alten Garten und in der Jugendherberge. Das Gebiet südlich und östlich des Stausees gleicht in den letzten Kriegsjahren förmlich einem Feldlager, einer Zusammenballung kriegswichtiger Einrichtungen. Hier liegen Einheiten, die den Stausee, ein wichtiges Wasserreservoir für das nördliche Ruhrgebiet, gegen Luftangriffe verteidigen. Hier trainiert in den Borkenbergen der Luftwaffennachwuchs (Flieger-HJ). Hier sind Hunderte von Fremdarbeitern und Kriegsgefangenen als Billigstarbeitskräfte konzentriert. Hier liegt eine auf die Schellreparatur bombardierter Verkehrswege spezialisierte Einheit der Organisation Todt. Vor allem aber - hier befindet sich in und an der Jugendherberge ein "Wehrertüchtigungslager" (WEL), in dem die im Heimatgebiet verbliebenen Hitlerjungen als militärische Reserve getrimmt oder auf die Wehrmacht vorbereitet werden.

Wehrertüchtigungslager gab es seit 1942. Das WEL Haltern ist eines von vielen Dutzend paramilitärischen Ausbildungslagern in Westfalen. Zum Übungsgebiet zählen das heutige Trainingscamp der britischen Rheinarmee nordöstlich der Jugendherberge, das Gelände zwischen Stever (heute Stausee Hullern) und jetziger B 58 (Haltern-Lüdinghausen) sowie die Westruper Heide. Hier wird Krieg nicht gespielt, sondern geprobt, so wie es der Ernstfall erfordert. Auf dem Übungsplan des HJ-Bataillons stehen Schießen, Bauen von Stellungen. In Deckung gehen, Angreifen, Überwältigen des Gegners und so fort. Aber man lernt nebenbei auch die brutale Realität des Kriegsalltags kennen. Verlustreiche Tieffliegerangriffe britischer Lightnings hinterlassen nachhaltige Eindrücke. Hinzu kommen Sondereinsätze. Einer gilt Lösch- und Rettungsarbeiten nach einem nächtlichen RAF-Angriff auf das benachbarte Dülmen. Ein anderer dem nördlich des Stausees verlaufenden Rangierabschnitt der Reichsbahn, wo man ausgehungerte russische Fremdarbeiter mit entsicherter Waffe von der weiteren Plünderung dort abgestellter Lebensmittelwaggons abzuhalten hat.

23. März 1945 - Während das katholische Westfalen sich anschickt, die Leidenswoche Christi zu begehen, gelingt den ersten alliierten Vorhuten, bei Rees und Wesel über den Rhein zu setzen. Mittels Pionierbrücken und Lastenseglern formiert sich östlich des Rheins in nur drei Tagen eine riesige und aufs beste ausgerüstete Armada. Aufgefächert in mehrere Angriffskeile soll sie die deutschen Verteidigungslinien im Ruhrgebiet und im Münsterland aufrollen. Mit unerwartetem Tempo rücken die Alliierten vor. „Dies ist kein Vormarsch, sondern eine Verfolgungsjagd!“ feuert ein amerikanischer General nach dem Ausbruch aus dem Brückenkopf bei Wesel seine Soldaten an.

Bild: Hof Rinkhoff

Am 26. März (Gründonnerstag) stehen britische Vorausabteilungen nahe den Stadtgrenzen von Haltern und Dülmen. Partei und Wehrmacht zeigen sich überrascht, verunsichert, zumeist kopflos und auch feige. Zumindest für das Münsterland ist kaum noch ein durchdachtes, konsequent durchzogenes Verteidigungskonzept erkennbar. Besonders die zweite Hälfte der Karwoche ist gekennzeichnet von Ratlosigkeit von Gegenbefehlen und Eigenmächtigkeiten politischer und militärischer Führer, von hektischem Absetzen und Sich-Verdrücken, von Auflösungserscheinungen, von Chaos und Verrohung. Die Agonie des NS-Regimes ist geradezu mit Händen zu greifen.

In diese apokalyptische Kriegsphase fällt der letzte Einsatz unseres HJ-Bataillons. In der Nacht zum Karfreitag erreicht die Hitlerjungen der Befehl, in SS-Tarnuniform feldmarschmäßig ausgerüstet vor der Jugendherberge anzutreten. LKWs von der Polizeikaserne Recklinghausen bringen sie und ihre Waffen (MG, Panzerfaust) in einer abenteuerlichen Form nach Albachten, wo sie in der frühen Morgendämmerung absitzen. Am Ortsrand sind MG-Stellungen auszumachen - angelegt zum Schutz der Gauhauptstadt gegen den von Südwesten anrückenden Feind. Man trifft auf versprengte Wehrmachtstrupps, stößt auf allgegenwärtige Feldgendarmerie, die nach Einheitszugehörigkeit und Marschbefehl fragt. Die Jungen haben keine Probleme, sich den Spielregeln des Kriegsgeschehens anzupassen. An den Anblick eines aufgehängten Deserteurs gewöhnt man sich schnell. Aber niemand kennt den genauen Kampfauftrag. Gerüchte machen die Runde. Mal heißt es, Münster sei mitzuverteidigen, mal glaubt man, als Sondereinheit abgestellt zu sein für den persönlichen Schütz des Gauleiters, den eine selbstgefällige Wichtigkeit in seinem Gau umtreibt. In diesem kaum mehr zu überblickenden Wirrwarr wird das Bataillon auseinandergerissen. Wir wissen nicht, wo das Gros abbleibt. Der Weg einer Kompanie allerdings läßt sich ziemlich genau nachzeichnen. Geführt von einem Oberleutnant und 4 Unteroffizieren der Wehrmacht setzt sie sich, etwa 80 Mann stark, in Marsch in Richtung östliches Münsterland. Die nächsten 30 Stunden zeigen, daß die Jungen etwas vom Kriegshandwerk verstehen. Ihr oberster Chef als Befehlshaber des Ersatzheeres und damit auch des Volkssturms ist Himmler.

Bild: Hof Kalthoff

Mit einer mit Himmlers Faksimile versehenen Blankovollmacht requirieren sie ein Fahrrad sowie Pferd und Wagen für den Transport ihrer 4 MGs, der Munitionskisten und der ca. 50 Panzerfäuste. Unterwegs wird die Ladung noch zünftig ergänzt, zunächst durch ein Schnapsfaß und schließlich durch ein Reh, das einer von ihnen erlegt.

In der Frühe des Karfreitags marschieren sie los. Jeder trägt Marschgepäck und Gewehr. Obwohl übernächtigt - es gibt kaum größere Pausen. Man will keine Zeit verlieren. Der Feind sitzt ihnen im Nacken, der Geschützdonner beweist es. Am südlichen Stadtrand Münsters vorbei geht es über Hiltrup und Albersloh nach Sendenhorst. Auch die Nacht zum Karsamstag wird durchmarschiert. Irgendwo auf dieser Strecke entfernt sich der Oberleutnant unter einem Vorwand von der ihm anvertrauten Einheit. Das Fahrrad nimmt er mit. Allem Anschein nach hat er die Jungen bewußt im Stich gelassen und sich selbstherrlich aus dem Krieg ausgeklinkt. Einer der Unteroffiziere übernimmt die Führung - ein Schleifer, fronterfahren und mehrfach verwundet, der sie schon im WEL Haltern gescheucht hat. Er treibt die Jungen vorwärts. Völlig übermüdet und erschöpft erreicht die Gruppe gegen 7 Uhr Karsamstagmorgen etwa 4 Kilometer nordöstlich von Sendenhorst die Bauernschaft Ringhöfen. Nach mehr als 35 Kilometern brauchen sie dringend eine Marschpause. Waffen und Munition werden abgeladen. Man verteilt sich auf ein halbes Dutzend Bauernhöfe, die sich in enger Nachbarschaft um die nach Hoetmar führende Straße gruppieren. Die Bewohner versorgen sie mit warmem Essen. Auch das Reh wird gebraten. Dann fallen die Jungen im Stroh in einen bleiernen Schlaf.

Niemand aus der Gruppe weiß, daß sich mittlerweile eine amerikanische Panzerkolonne auf Sendenhorst zubewegt. Um die Mittagszeit erreicht sie, ohne auf nennenswerten Widerstand zu stoßen die Ortsmitte. Die Stadt wird kampflos besetzt. Der Stab der HJ-Gebietsführung Westfalen, die wegen der zunehmenden Luftbombardements Herbst 1944 von Münster nach Sendenhorst verlegt worden war, ist längst über alle Berge. Es gibt auch keine idiotischen Volkssturmaktionen der Einheimischen mehr. Nach kurzem Stop rollen die Panzer weiter. Ein Teil nimmt Kurs auf Vorhelm-Neubeckum. Eine andere Gruppe von ca. 30 Panzern zweigt nach Osten ab in Richtung Hoetmar, genau auf das Quartier der Hitlerjungen zu. Behutsam tasten sie sich vor, um unnötige Verluste durch Feindberührung zu vermeiden und nicht in Hinterhalte zu geraten. Die Goebbelsche Propaganda hat es verstanden, den Alliierten einen höllischen Respekt vor dem Werwolf, einem typischen NS-Phantom, einzubleuen. Die Bewegungen der Panzer werden gesteuert von einer in niedriger Höhe und extrem langsam fliegenden Grasshopper, einem Artilleriebeobachtungsfleugzeug. Diese Koordination von Luft und Boden gehört zum taktischen Konzept aller damals vom Rhein zur Elbe vorstoßenden amerikanischen Panzerabteilungen, die eine Art Speerspitze bilden für die auf breiter Front nachrückende Hauptstreitmacht.

Als man in Ringhöfen dem Kompanieführer das Herannahen der Amerikaner meldet, erwacht offenbar sein im Rußland-Feldzug geschulter soldatischer Instinkt. Ein tödlicher Mechanismus setzt sich in Gang. Die Parole heißt höchste Gefechtsstufe. In aller Eile werden die Jungen geweckt und von ihm in Deckungsstellungen eingewiesen. MGs und Panzerfäuste werden verteilt. Es gibt keinen Zweifel, der Feind soll gestellt werden, die Jungen sollen ihre Feuertaufe erhalten. Ihre Kampfmoral? So wie die Dinge damals lagen, dürfte es eine Mischung von schlichter, unkritischer Regimegläubigkeit, von jugendlicher Verwegenheit und vor allem von Angst gewesen sein - Angst vor dem anrückenden Gegner wie vor der Befehlsgewalt ihres Kompanieführers. Etwa 15 Minuten nach Einnehmen ihrer Gefechtspositionen ist die Grasshopper über ihnen. An einer Straßenbiegung erscheinen die ersten Panzer, kampferprobte Shermans; klein und gedrungen wirken sie mit dem für sie typischen hohen Geschützturm. Aber es gibt keine Chance auf ein militärisches Patt oder ein vernunftdiktiertes Zurückstecken. Jahrelange Indoktrination und nicht zuletzt Meyers Appell auf dem Burghof in Gemen zeigen Wirkung. Was in der nächsten halben Stunde abläuft, läßt sich in seiner Dramatik mit Worten nur unzulänglich wiedergeben. Ein MG-Schütze feuert auf den Flieger, ohne ihn allerdings zu treffen. Sofort stoppen die Panzer und stellen sich in klug abwartender Gefechtsformation auf. Ein ungleicher Kampf beginnt. Einige MG-Stellungen verraten sich durch ihre Mündungsfeuer. Die Panzergeschütze belegen sie mit kurzem Sperrfeuer und schalten sie schnell aus. Andere haben in Scheunen Deckung gesucht und nehmen dort die Amerikaner aufs Korn. Die Panzer erwidern das Feuer und schießen mehrere Gebäude in Brand. Eine Gruppe von Hitlerjungen versucht Panzerfäuste abzuschießen. Der nach hinten abgehende Feuerstrahl verwundet einen von ihnen tödlich. Der Schleifer treibt seine junge, auf verlorenem Posten stehende Truppe zum Kampf an. Einem der Jungen, der gerade dabei ist, seine MG-Stellung aufzugeben, drückt er eine Pistole an die Schläfe und zwingt ihn zurück an seinen Posten. Danach taucht er ab in einen nahegelegenen Bachlauf und - türmt, wie zuvor der Oberleutnant.

Nach etwa 30 Minuten ist das von den Amerikanern zwar entschlossen, aber mit aller erdenklichen Zurückhaltung geführtes Gefecht vorbei. Die Panzerbesatzungen haben Grund zur Vorsicht. In den Tarnanzügen ihrer Gegenüber vermuten sie fanatische SS-Kämpfer. Insgesamt 9 Hitlerjungen haben ihr Leben gelassen, der jüngste gerade 15½ Jahre alt. Die übrigen werden gefangengenommen und müssen auf die Panzer aufsitzen als lebender Schutzschild gegen mögliche weitere deutsche Lauerstellungen. Dann rollen die Panzer weiter. Der Krieg läßt sich und ihnen keine Zeit.

Zurück bleibt eine makabre Szenerie, umrahmt von dem Geflacker brennender Gehöfte. Es ist ein milder, fast heiterer Frühlingstag, und in wenigen Stunden wird das Fest der Auferstehung beginnen. Dumpfe Stille brütet über dem „Schlachtfeld“ mit den Leichen der 9 gefallenen „Helden“. Verhallt sind die Geschoßsalven, verhallt ist die Stimme eines Jungen, der - so wird berichtet - in seinem bewußt erlebten Todeskampf nach seiner Mutter ruft. Viele Jahre später. Die Wunden des Krieges sind vernarbt und verheilt. Die Bauern die den Beschuß und das Niederbrennen ihrer Höfe einzig dem wahnwitzigen Einsatz der hier eher zufällig durchziehenden HJ-Einheit verdanken, haben längst wieder aufgebaut. Die jungen Kämpfer von damals stehen, soweit sie überlebt haben, im Berufsleben. Einer von ihnen, einen gebürtigen Recklinghäuser, den der Beruf nach Süddeutschland verschlagen hat, führt 1980 eine Dienstreise in die Nähe von Sendenhorst. Der Ortsname löst Erinnerungen aus an die militärische Odyssee des Jahres 1945. Schließlich findet er die Bauernschaft Ringhöfen und hört von einer in den 70er Jahren errichtete Kapelle, errichtet zum Gedenken an die Toten und Gefallenen der Bauernschaft. Der Tod, so heißt es, trennt nicht nur, er verbindet auch. Tiefbewegt steht der ehemalige Hitlerjunge im Kapelleninneren vor einer hölzernen Gedenktafel. Er hatte einen Schutzengel, anders als seine toten Kameraden - jene, so der eingravierte Schriftzug, „beim Einmarsch der alliierten Truppen am 31. März 1945 in Ringhöfen gefallenen Wehrmachtsangehörigen im Alter von 16 Jahren“.

Wehrmachtsangehörige freilich waren sie nicht. Doch das sollte die versöhnliche, christliche Geste der Kapellenstifter nicht schmälern. Die historische Wahrheit ist oft kompliziert und gewunden. Unbedingt aber und ohne jeden Vorbehalt muß als historische Wahrheit gelten, daß jenes Regime, welches die in Ringhöfen kämpfenden Hitlerjungen genau wie Tausende anderer Gleichaltriger verführte und zum (oft tödlichen) „Heldentum“ zwang, ein zutiefst verbrecherisches Regime war.

    


Das unsinnige letzte Gefecht von Rinkhöven  1995 Heimatkalender


Sendenhorst in der Karwoche 1945 - Mitte März 1945. Amerikanische und englische Tiefflieger entwickeln eine verstärkte Tätigkeit. Als am Palmsonntag, dem 25. März 1945, eine Kriegstrauung in der St.-Josefs- Kapelle vollzogen wurde, waren um 11.30 Uhr nur noch das Brautpaar und der Priester vor dem Traualtar. Heulendes und krachendes Unheil störte nicht allein die Trauzeremonie, auch Stadt, Häuser und Bewohner erbebten. Opfer der Tiefflieger wurden ins Krankenhaus eingeliefert. Tag um Tag, Nacht für Nacht vernahm man das Brummen, Rauchen, Klappern der Motoren und das bellende Tacken der Bordwaffen. Überall suchten die Einwohner die Schutzräume auf.

Bild: Eine hölzerne Gedenktafel in der Rinkhöven-Kapelle erinnert an die gefallenen jungen Rekruten.

Am 29. März 1945 verschwand die Abteilung des Generalkommandos aus der Baracke auf dem ehemaligen Sportplatz (heute Turn- und Sporthalle). Akten des Kommandos wurden in der Heizung des gegenüberliegenden Krankenhauses verbrannt. Bischof Clemens August, der Sendenhorst als provisorischen Bischofssitz erwählt hatte, konsekrierte die heiligen Öle am Gründonnerstag in der St. Martins-Pfarrkirche. Dr. Lintel-Höping, Chefarzt im Krankenhaus, ließ die Stationen räumen und alle Kranken in den Kellerräumen unterbringen.

Die Kriegsleitung der Hitlerjugend im Gau Westfalen-Nord, die ein Domizil in einer weiteren Baracke auf dem Sportgelände hatte, machte sich am Karfreitag, 30. März 1945, aus dem Staub. Daß auch hier alle Akten in den Flammen vernichtet worden sind, versteht sich von selbst. Das Verhängnis wirft seine Schatten voraus mit dem immer deutlicher rollenden Donnern der Geschütze. Der Sendenborster Volkssturm muß antreten. Eine Panzersperre wird 50 m hinter dem Maschinenhaus des St. Josef-Stiftes errichtet. Proteste des Hauses mit der wehenden Rote-Kreuz-Fahne gegen die unsinnige Kampfmaßnahme waren erfolglos. Unaufhörlich kreisen Tiefflieger über Bahn und Straßen, wo Wagengespanne und Gruppen von flüchtenden Menschen unter Feuer genommen werden.

Nach einer unheimlichen Nacht bricht der Karsamstag, 31. März 1945 an. In der Pfarrkirche und in der Krankenhauskapelle findet die österliche Feuerweihe statt. Die Handlung wird vom Tacken der Bordwaffen unterbrochen. Vielerorts im Stadtbereich hängen weiße Tücher aus den Fenstern. Sendenhorsts Verteidigern ist dies ein Dorn im Auge. Endlich um 10 Uhr war ein Durchbruch friedlicher Art geschafft. Der Volkssturm lehnte eine Verteidigung der Sperre am Westtor ab. Gleichzeitig erfährt man, daß der Feind vor Drensteinfurt steht. Nahezu menschenleer werden nun die Straßen. Angsterfüllt hat die Bevölkerung die Schutzräume aufgesucht und harrt der Dinge, die nun unweigerlich auf sie zurollen.

Die Kranken, die Schwestern und das Personal im St. Josef-Stift sind ruhig und gefaßt; Trotz der vermehrten schwierigen Arbeit in den "Katakomben". Mut ist Dr. Lintel-Höping in der herannahenden Stunde Null zuzuschreiben, der nach Behördenabsprache Möbel und Ausstattungsgegenstände kurzentschlossen aus den Räumen der Gebietsführung und des Generalkommandos zur weiteren Verwendung sicherstellt. Die Mittagsstunde bricht an und zeigt flüchtende Bewohner vom Niederrhein, dazwischen versprengte Soldaten, zurückjagende Offiziere - ohne Waffen. Um 13 Uhr setzt verstärkte Fliegertätigkeit ein.

Die Spähtrupps der Luft befeuern pausenlos die Verkehrswege. Größte Spannung lagert über Stadt und Land. Die Front naht. Am 13. 5 Uhr fallen in der Nähe, nordwestlich vom Friedhof, einige Schüsse. Eine Feldscheune geht in Flammen auf. Ein Tiefflieger sucht das Gelände ab. Am Handweiser Albersloh /Drensteinfurt rollen Panzer in breiter Front an. Sie reihen sich zur Kolonne, 500 m vom Krankenhaus entfernt.

Der Gauleiter Westfalen-Nord, Dr. Alfred Meyer, erfolgt die Gefechtsausbildung junger Volkssturmsoldaten, die in der Bauerschaft Rinkhöven in ein verlustreiches Gefecht verwickelt wurden

Im Krankenhaus ahnen die wenigsten etwas von der Front, die sich anschickt, Sendenhorst zu überrollen. Um die selbe Stunde kniet betend Bischof Clemens August in der Stiftskapelle. Die Turmuhr kündet eine denkwürdige Stunde. Es ist 14 Uhr. Der erste amerikanische Panzerwagen, langsam fahrend, stark bestückt. Schußbereit, taucht hinter dem Maschinenhaus am Westtor auf. Das Krankenhaus und alle benachbarten Gebäude stehen in der Front. Rasch werden alle Fenster der Nordseite von Neugierigen besetzt. Ein Erbeben des Bodens unter den Panzerketten der rollenden Festungen läßt die Kranken im Keller die Vorgänge draußen ahnen. Aus den Fenstern der umliegenden Häuser gehen die weißen Fahnen hoch. Ununterbrochen rollen nun die Kampfwagen durch die Stadt.

Die Front rollt kampflos über sie hinweg. Als bekannt wurde, daß 400 m westlich vom Krankenhaus deutsche Verwundete liegen, fährt Dr. Lintel-Höping in einem Wagen mit Rotem Kreuz und weißer Fahne hinaus. um sie zu bergen. Die Amerikaner verweigern die Auslieferung, denn es seien Kriegsgefangene. Im Spätnachmittag steht Bischof Clemens August auf der kleinen Stifteingangstreppe und blickt nach Norden in die Bauerschaft Rinkhöven, wo vier Bauernhöfe brennen. "Eine Wende, kein Ende" ist sein Ausspruch. Doch wie kam es zu dem Inferno?

Alles begann in der Jugendburg Gemen. Etwa 1.000 junge Leute zwischen 15 und 18 Jahren waren im November 1944 dorthin einberufen worden. Ausgebildet wurden sie u. a. an der Vierlingsflak, schließlich unter militärisches Kommando gestellt und letztendlich in Anwesenheit von Gauleiter Dr. Alfred Meyer vereidigt. Stramm standen sie da, die Schüler, Lehrlinge im Fackelschein und bei Trommelwirbel, in Soldatenuniform gekleidet und härten markige Worte und verpflichtende Formeln. Im Februar 1945 wurde die Jugendherberge Haltern ihr Quartier. Schießübungen fanden in der Westruper Heide statt. Am 29. März 1945 kam der Befehl, Tarnanzüge anzuziehen, auf Polizeilaster feldmarschmäßig ausgerüstet aufzusitzen.

Bis Albachten ging zunächst die Fahrt. Nun erhielten sie Order, auf Münster zu marschieren und die Stadt zu verteidigen. 80 junge Soldaten waren dazu ausersehen. Ein Oberleutnant und ehemaliger HJ-Bannführer befehligten die Kompanie. In Albachten beschaffte man sich Pferde und Wagen sowie ein Fahrrad. Mit einem Befehlsausweis mit der Unterschrift des Reichsführers SS Heinrich Himmler war dies kein Problem. 60 bis 70 Panzerfäuste sowie 4 Maschinengewehre und etliche Pistolen wurden verladen. Die feindliche Front kam schneller näher als gedacht. Man änderte angesichts der Lage kurzerhand die Marschroute und zog südöstlich in Richtung Sendenhorst In Albachten trieb man Butterbrote und Schnaps auf, und weiter gings nach Osten. Während des nächtlichen Marsches setzte sich der Oberleutnant mit dem Fahrrad klammheimlich ab. Einer der Unteroffiziere, fronterfahren, befehligte sie nun.

Karsamstag. 6 Uhr, hatten die Volkssturm-Soldaten die Sendenhorster Bauerschaft Rinkhöven erreicht. Alle Bauern boten den jungen Menschen eine herzliche Aufnahme. benötigten, je und waren voller Hoffnung auf ein friedvolles Ende des schrecklichen Krieges.

Weit gefehlt, denn die Maschinengewehrsalve auf ein Aufklärungsflugzeug von einem an der Straße/ Angelfluß postierten schießwütigen Soldaten abgegeben. löste das Fiasko aus. In Sendenhorst teilte sich die Panzerkolonne am Osttor in Richtung Bauerschaft Rinkhöven-Hoetmar-Warendorf einerseits und andererseits Tönnishäuschen-Vorhelm-Beckum. Langsam rollten die Kettenfahrzeuge auf die Bauerschaft zu. Die Kompanie hatte sich zwischenzeitlich vor drei Bauernhöfen, an der Straße und am verlaufenden Angelfluß unter der Parole "Höchste Gefechtsstufe“ eingenistet. Das zehnminütige Feuergefecht tötete eine Anzahl junger Menschen und vernichtete die Rinkhöven-Bauernhöfe Ringhoff, Middrup-Vornholz, Greiwe-Fels, Kalthoff und den Nachbarhof Drees in Hoetmar bis auf die Grundmauern. Ein Stab mit weißer Fahne. hervorgehoben aus einer Angelfluß-Deckung, hat die 30 Sherman-Panzer nicht aufhalten können.

Nach einer halben Stunde war aus dem Schlachtfeld mit weiter brennenden Gebäuden ein Gefangenenlager geworden. Die Annahme der Amerikaner, daß in den Tarnanzügen Soldaten stecken würden, bestätigte sich nicht. Die Gefangenen mußten auf die Panzer aufsitzen, wurden anschließend mit Lastern nach Gütersloh, dann nach Lüdinghausen und schließlich ins Massenlager Rheinberg transportiert. Der junge Soldat von einst hat nahezu 40 Jahre später in der Rinkhöven-Kapelle gestanden und tief bewegt vor der hölzernen Gedenktafel seiner 8 toten Kameraden gedacht.

50 Jahre sind nun vergangen. Ich habe den Recklinghäuser vor Jahresfrist kennengelernt und die zeitgeschichtliche Wahrheit über das Geschehen von Gemen bis Rinkhöven erfahren. Ebenso unveröffentlicht sind die tatsächlichen Ereignisse während der Karwoche im Stadtbereich. Nach fünf Jahrzehnten konnte das heimische Geschichtsmosaik wieder mit einem weiteren Steinehen angereichert werden.

    


Beginn der Industrialisierung in Sendenhorst - Mit WLE-Bahnanschluss begann es - wirtschaftliche Entwicklung in Sendenhorst  H. PetzmeyerHeimatkalender


Zu Beginn des 19. Jahrhunderts war der jetzige Kreis Warendorf ziemlich homogen strukturiert. Die Unterschiede zwischen den städtischen und ländlichen Zentren waren nicht sehr erheblich. An der Spitze der wirtschaftlichen Zentralität stand zweifellos Warendorf, gefolgt von den "Mittelzentren" Ahlen, Beckum, Telgte und Oelde. Sendenhorst stand mit Drensteinfurt, Everswinkel und Wadersloh auf einer zehnteiligen Skala zentraler Orte Westfalens auf Platz acht, gefolgt von Liesborn, Freckenhorst und Stromberg an neunter Stelle. Auch die Einwohnerzahl der Orte des heutigen Kreises Warendorf wies keine ungewöhnlichen Unterschiede auf. Sie schwankte - Zentralort und umliegendes Kirchspiel zusammen genommen - zwischen 6900 (Warendorf) und 1300 (Stromberg). Sendenhorst belegte mit 2200 Einwohnern, davon 800 im Kirchspiel, einen mittleren Platz.

Bild: Maschinenfabrik Ramesloh am Osttor. Firmenbriefkopf 1922.
Im Hintergrund die Stadt Sendenhorst mit Kirche, Brennereischornsteinen & Windmühle



In den folgenden hundert Jahren bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914 verlief die Entwicklung nicht mehr so einheitlich. Von den zwölf Gemeinden des heutigen Kreises Warendorf wurden Ahlen, Beckum (mit Neubeckum), Oelde und Ennigerloh von der Industrialisierung erfasst. Warendorf beharrte auf dem Platz seiner herausragenden Zentralität. Die übrigen Gemeinden entwickelten sich nur im Rahmen des allgemeinen Bevölkerungswachstums, einige, wie Beeten und Sassenberg stagnierten sogar. Es stellt sich die Frage, warum schafften einige Orte den Einstieg in die Industrialisierung? Warum verharrten andere bis zum Ersten Weltkrieg in ihren ländlich-vorindustriellen Strukturen? Am Beispiel der wirtschaftlichen Entwicklung Sendenhorsts sollen einige Faktoren gezeigt werden, die einer Industrialisierung im Wege standen, andere, die sich anboten, aber nicht genutzt wurden.

Die Industrie wendet eine neue Organisationsform der Arbeit an, die - anders als die handwerkliche Produktionsweise - systematisch die technischen Fortschritte nutzt, um unter vermehrten Kapitaleinsatz Güter zu produzieren. Der traditionelle Haupterwerbszweig in Sendenhorst, die Leineweberei, hatte ihren Höhepunkt zu Beginn des 19. Jahrhunderts überschritten. Als die Preußen das Münsterland 1802 in Besitz nahmen, lebte noch mehr als ein Viertel der Bevölkerung von der Leineweberei. Aber weil es am Ort keine kapitalkräftigen Leinenhändler gab, arbeitete Sendenhorst fast ausschließlich für Warendorfer Leinenkaufleute. Das gab eine gewisse Absatzgarantie, machte aber abhängig und verhinderte den Umstieg auf neue Produktionszweige, wie zum Beispiel auf die Plüschweberei in Ahlen. Die Sendenhorster Leineweber produzierten ausschließlich auf Handwebstühlen in kleinen Familienbetrieben mit höchstens drei Beschäftigten.

Die lang anhaltenden Krisenzeiten des Leinengewerbes überstanden sie erstaunlich gut. Die Zahl der hauptberuflich arbeitenden Weber ging lediglich von 63 (1832) auf 50 (1876) zurück, ein Indiz, daß man der Leineweberei in Sendenhorst weiterhin gute Chancen gab. Der mechanische Webstuhl, der sich seit 1880 endgültig durchsetzte, fand in den Sendenhorster Werkstätten keinen Platz. Man webte wie seit mehr als 200 Jahren auf dem traditionellen Handwebstuhl Ohne Modernisierung ihrer Produktionsverfahren hatten die Leineweber endgültig den Anschluss verpasst. 1911 lebten noch drei Familien von der Leineweberei. Dann war dieser ehrwürdige Handwerkszweig ausgestorben, ohne daß es gelungen wäre, ihn in eine industrielle Fertigung hinüberzuleiten.

Neue, industrielle Herstellungsverfahren waren in hohem Maße von der verkehrsmäßigen Erschließung eines Ortes abhängig. Die Orte an der 1847 in Betrieb genommenen Köln-Mindener Eisenbahn, Ahlen, Oelde und das über eine Stichbahn verbundene Beckum, erhielten von hier entscheidende wirtschaftliche Impulse. Die Einwohnerzahlen von Beckum, Ahlen und Oelde, die im Jahre 1803 mit 1854, 1567 und 1104 nicht erheblich von denen Sendenhorsts (1294) abwichen, verdoppelten sich bis 1875, während Sendenhorst nur einen Zuwachs von 40% verbuchen konnte.

In Sendenhorst erkannte man die Vorteile eines Eisenbahnanschlusses durchaus und verfolgte aufmerksam alle Bahnprojekte, die das Stadtgebiet durchqueren konnten. Bereits 1868 trat die Stadt dem Komitee einer projektierten Eisenbahn Hamm Warendorf-Osnabrück bei. 1872 erklärte die Stadtverordnetenversammlung zustimmend: Der Versammlung wurde vom Vorsitzenden mitgeteilt, wie nunmehr seitens des kgl. Handelsministeriums der Direktion der Bergisch-Märkischen Eisenbahn-Gesellschaft die Ausführung der generellen Vorarbeiten für die Herstellung einer direkten Bahn von Hamm nach Osnabrück gestellt worden. Nach stattgehabter Beratung erklärte Versammlung, daß es für die hiesige Stadt von unberechenbaren Vorteil sei, wenn auch sie von der projektierten Eisenbahnlinie berührt und in ihrer Nähe ein Bahnhof angelegt werde, und wurde daher demnächst beschlossen, eventuell das zur Anlegung des Bahnhofes hier selbst erforderliche Areal unentgeltlich zu beschaffen, sowie alle Kommunal-Grundstücke, soweit solche vom Bahnkörper durchschnitten werden sollten, ohne Entschädigung abzutreten. Zugleich wurde Vorsitzender ersucht, der Direktion der Bergisch-Märkischen Eisenbahn von diesem Beschlusse baldigst Kenntnis zu geben und auf die Bedeutung der hiesigen Stadt hinsichtlich ihrer Lage, sowie der Ein - und Ausfuhr derselben näher hinzuweisen.

Grafik: Sendenhorst, Bevölkerung 1803-1910

Das Komitee tagte fleißig, kam aber über Pläne und Absichtserklärungen nicht hinaus. Sendenhorst blieb bis zum Beginn des neuen Jahrhunderts vom Eisenbahnnetz ausgespart. Die gegenüber Ahlen, Beckum und Oelde geringen wirtschaftlichen Aussichten der Stadt spiegeln die Einwohnerzahlen wider. Ahlens Bevölkerung wuchs zwischen 1870 und 1900 um 86%, Sendenhorst stagnierte wie alle nicht von der Industrialisierung erfassten Orte des Kreises und veränderte seine Einwohnerzahl in 30 Jahren lediglich um 21 Personen auf 1889. Bis 1870 hatte die Stadt noch von dem Zuzug aus dem Kirchspiel - dessen Bevölkerungszahl stagnierte zwischen 1800 und 1900 bei 800 - und den benachbarten ländlichen Orten profitiert. Der Ort bot zu dieser Zeit Handwerkern und Tagelöhnern eine schmale, halbwegs gesicherte Existenz.

Nach 1871 zogen die industrialisierten Orte vor der Haustür und das nahegelegene rheinisch-westfälische Industriegebiet Arbeitskräfte mit ihren Familien aus der Stadt Sendenhorst und ihrem Umland ab. Die Daheimgebliebenen richteten sich selbstgenügsam ein. Als profitabler Wirtschaftszweig etablierte sich die Kornbrennerei. Die Zahl der Betriebe wuchs zwischen 1870 und 1890 von 11 auf 18. Die Brennereibesitzer stellten mit Gastwirten, Kaufleuten, Apotheker, Arzt und Pfarrer nach dem preußischen Dreiklassenwahlrecht das erste Drittel des Wählerpotentials. Sie setzten die Schwerpunkte der kommunalen Ausgabenpolitik, die sich nicht immer an den Interessen aller Sendenhorster orientierten. Die Kornbrennerei betrieb zwar geschickte Imagepflege (1911: Sendenhorst ist mit seinen 17 Kornbranntwein-Brennereien eine der ältesten Städte in der Herstellung des berühmten Alten Münsterländer Korns im Münsterland), konnte aber keine Arbeitsplätze schaffen. Von ihr gingen langfristig keine wirtschaftlichen Impulse aus.

Sendenhorst verharrte in seiner scheinbar idyllischen ländlichen Harmonie, überschattet von dem ungelösten Problem gesicherter Arbeitsplätze. Von 468 männlichen Erwachsenen gaben 1876 als Beruf an: Tagelöhner 117, Weber 50, Steinhauer 29, und Maurer 33. Die Maurer und Steinhauer hatten in der Regel keine qualifizierte Ausbildung. Sie arbeiteten gewöhnlich außerhalb des Ortes, vor a allem in Münster, wo sie ihren Anteil am Aufbau der Provinzialhauptstadt leisteten. Die Zahl der Sendenhorster Maurer stieg bis 1911 auf 73.

Wie die Statistik zeigt, hatte die Hälfte der Sendenhorster Bevölkerung in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts kein gesichertes Einkommen, stand immer wieder vor kaum lösbaren Existenzsorgen. Aber anders als im Vormärz (der Zeit vor der Märzrevolution 1848) rebellierte die Bevölkerung nicht. Wer nicht abwanderte, richtete sich auf niedrigem Niveau ein. Der Garten vor der Stadt, die Kuh und das Schwein im Stall halfen leidlich über die Runden. In den turbulenten Revolutionsjahren 1848/49 war eine gewaltbereite Masse noch von der oppositionellen Stadtvertretung gestützt worden. Nach 1871 hatte man sich mit dem preußischen Staat arrangiert. Patriotismus war angesagt. Die führenden Schichten machten es vor, und nach und nach folgten die übrigem dem Beispiel. Man war weiterhin arm, hatte aber jetzt einen Kaiser, der die Franzosen besiegt hatte und auf den man stolz sein durfte.

Grafik: Bevölkerungsdichte im Kreis Warendorf - Zunahme 1818 =100 - bis 1961 in [%]

Ein wenig profitierte Sendenhorst auch vom wirtschaftlichen Aufschwung im Deutschen Reich. Aber die Lage blieb unsicher, weil eine stabile Basis fehlte, Arbeitsplätze in Fabriken am Ort oder die Möglichkeit, durch die Eisenbahn solche Arbeitsplätze in Nachbarorten täglich anzufahren. Erst gegen Ende des Jahrhunderts nahmen die Pläne einer Eisenbahn für Sendenhorst greifbare Gestalt an. 1891 hatte sich ein Geschäftsausschuß für eine direkte Voll - und Kanalzubringerbahn Münster-Beckum-Lippstadt als Theilstrecke einer abkürzenden Bahn CasseiMünster- Emmerich etabliert. 1895 beschloss die Stadt Sendenhorst, Grund und Boden für eine vollspurige Nebenbahn von Beckum nach Münster über Hiltrup mit einer Abzweigung Albersloh-Wolbeck-Münster bereitzustellen. Der Güterverkehr für Sendenhorst wurde mit jährlich 100 Doppelwagen Kohlen zu Brennereizwecken und 300 Doppelwagen mit Brennereiprodukten veranschlagt. Für den Personenverkehr rechnete man allein im Sonntagsverkehr nach Wolbeck-Münster mit 10.000 Fahrgästen im Jahr. Das Ministerium für öffentliche Arbeiten erteilte die Genehmigung, die interessierten Gemeinden stellten Grund, Boden und Kapital bereit. Am 30. September 1903 konnte die neue Strecke der Westfälischen Landeseisenbahn zwischen Neubeckum und Münster in Betrieb genommen werden.

Für Sendenhorst bedeutete der Anschluss an das Eisenbahnnetz zweierlei: Als Pendler fanden viele Männer und Frauen Arbeit in der Provinzialhauptstadt Münster, aber auch in anderen mit der Eisenbahn erreichbaren Nachbarorten. Ein Bahnanschluss war vor allem ein Anreiz für die Ansiedlung von Industriebetrieben. Bereits in der Planungsphase der WLE, im Jahre 1898, gründete Hermann Ramesohl (1854 - 1927) das erste Industrieunternehmen vor dem Osttor, ein Zweigbetrieb der Oelder Zentrifugenfabrik Ramesohl. Im folgenden Jahr berichtete Bürgermeister Hetkamp an die Regierung : Die Centrifugenfabrik hat allem Anschein nach guten Absatz. Dieselbe hat bereits Aufträge gehabt zum Ausland, nach Holland und America. Die Fabrik beschäftigte bis zu 20 Arbeiter. Im Ersten Weltkrieg wurden statt Zentrifugen Granaten produziert. 1929 belieferte die Maschinenfabrik Raco (Ramesohl & Co) laut Briefkopf die Landwirtschaft mit Handablagen für Mähmaschinen, Strohschneider mit Schnitthalter, Futterschneidemaschinen, Rübenschneider Marke Sperber und Separatoren. Auf 3 ha ehemaligem Pastoratsgrund wurden im April 1910 nördlich der WLE an der Hoetmarer Straße der Grundstein für die Fabrikgebäude der Stanz- und Emaillierwerke Sendenhorst gelegt. Die Firma beschäftigte vor dem Ersten Weltkrieg durchschnittlich 80 Arbeiter, wurde 1918 vom Emaillierwerk Raestrup und Krone in Oelde übernommen, stellte aber wenig später die Produktion ein. Der 58 m hohe Fabrikschornstein wurde 1936 gesprengt. Südlich der Straße nach Beckum, auf dem Grundstück Osttor 376, nahm die Schraubenfabrik Alfred Voß & Co. 1921 die Produktion mit 8 Beschäftigten auf, mußte aber auch 1926 ihren Betrieb einstellen. Schließlich sei noch die Firma Wieler Brückmann erwähnt. Die 1910 von der Oststraße (Ecke Südgraben, heute Peiler) vor das Osttor verlegte Brauerei gehörte im engeren Sinne zwar nicht zu den Industriebetrieben, aber sie spielte für den Ausbau der Infrastruktur in der Stadt Sendenhorst eine wichtige Rolle. Nachdem das St.-Josef-Stift zu Weihnachten 1906 ein Maschinenhaus, Dampfheizung und elektrisches Licht erhalten hatte, gingen im folgenden Jahr die ersten Sendenhorster Haushalte und Betriebe an das Netz. Der von der Brauerei Wieler erzeugte Strom wurde über Außenleitungen zu den Häusern längs der Ost- und Weststraße geführt. Die Schulchronik berichtet: Im Dezember 1908 begann man mit der elektrischen Lichtanlage im Schulgebäude (an der Schulstraße). Am Abend des 16. Dezember brannte es zum ersten Mal in der Dienstwohnung des Hauptlehrers. 1918 belieferte Wieler 24, meist handwerkliche Betriebe, mit Kraftstrom. Als das Elektrizitätswerk Wieler um 1925 seinen Betrieb einstellte, übernahm die Überlandzentrale die Sendenhorster Stromversorgung. In den Räumen der ehemaligen Brauerei etablierte sich das Stanz- und Hammerwerk Alfes & Brückmann, seit 1927 Nübell & Alfes, Metallwarenfabrik

Die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise bedeuteten das Aus für die Sendenhorster Industriebetriebe. Die ersten Schritte in die Industrialisierung waren spät, erst um die Jahrhundertwende erfolgt. Die Industrie hatte rund hundert neue Arbeitsplätze geschaffen, viel für eine ländliche Kleinstadt, aber nicht soviel, daß ein stärkerer Zuzug von außen erfolgte. Nicht ohne Stolz urteilt deshalb Stadtsekretär Kleinhans 1929: Die Einwohnerschaft ... ist sesshaft und von fremden Zuzüglern wenig durchsetzt. Die Einwohnerzahl war fast ganz stabil. Als nach 30 Jahren der letzte Industriebetrieb seine Tore Schloss, war die erste Phase der Industrialisierung für Sendenhorst vorbei.

Erst nach dem Zweiten Weltkrieg kam es zu dauerhafteren Betriebsgründungen, zum Teil als Filialbetriebe größerer auswärtiger Unternehmen, zum Teil als eigenständige Unternehmen, wobei sich seit den 60er Jahren die Kunststoffindustrie als umsatzstärkster, größter Arbeitgeber entwickelte. Aber das ist ein anderes Kapitel.

    


Der letzte Scharfrichter Münsters - mal über den Tellerrand geschaut  Auf roter Erde | Klaus Gimpel, Franz Predeek


1851 erfolgte Verbot öffentlicher Hinrichtung und Ausstellung am Pranger - MONATSBLÄTTER FÜR LANDESKUNDE UND VOLKSTUM WESTFALENS Nummer 293 Heimatbeilage der Westfälischen Nachrichten 1988. 44. Jahrgang

Richtplatz
Am 16. März 1836 starb im Alter von 14 Jahren der letzte Scharfrichter im Dienste der Stadt Münster, Johann Hermann Leissner auch Leusener genannt. Seine Witwe verkaufte der Stadt im Jahre 1840 für sieben Taler die ihr gehörigen drei Richtschwerter. Sie sollten in Erinnerung an die Aufhebung der städtischen "Criminal-Jurisdication" des Magistrates zusammen mit den im münsterischen Stadtarchiv befindlichen "Armen-Sunder-Stuhl" aUfbewahrt werden. Offenbar handelt es sich hier um die heute in der Bürgerhalle des Rathauses ausgestellten Richtschwerter aus den Jahren 1550, 1600 und 1690. Letztes trägt auf der 86 Zentimeter langen Klinge mit durchgezogener Blutrinne die Umschrift: "Wen(n) ich thu Das schwert Aufheben, so wünsche Ich Dem Armen Sünder Das Ewig Leben .." Leissner war im Februar 1762 in Telgte als Sohn des dortigen "Nachrichters" geboren und hatte im Jahre 1793 dessen Amt übernommen. 1796 wurden ihm die ScharfrichtersteIlen im Amt und Stadt Dülmen und 1799 in Wolbeck übertragen. Schließlich ernannte ihn im lahre 1801 die fürstbischöfliche Hofkammer zum "Nachrichter der Stadt Münster". Die Anstellung bedurfte der Zustimmung des Magistrates, der aus der Stadtkämmerei ein Gehalt von 34 Reichstalern gewährte und kostenlos die sogenannte Scharfrichterei und Abdeckerei an der Klosterstraße (Ludgeri-Leischaft 250/51) zur Verfügung stellte.

Die Scharfrichterei
Die Scharfrichterei oder "Büttelei" diente dem Scharfrichter und seiner Familie als Wohnung. Sie umfaßte eine Grundfläche von etwa 100 Quadratmetern. Die benachbarte Abdekkerei mit rund 40 Quadratmetern bot den Schinderknechten hinreichende Unterkunft. Der Magistrat der Stadt verkaufte im lahre 1837 das Grundstück mit den zum Abbruch bestimmten Gebäuden für 876 Taler an den Maurerlmeister Christian Greve. Neben einem Jahresgehalt von 60 Reichstalern aus der münsterischen Hofkammer standen dem Scharfrichter die Gebühren nach der Abdeckertaxe vom 30.4.1755 zu. Bis zur Einführung der Gewerbefreiheit 1810 verfügte er über das "Abdecker-Monopol auf auf gefallenes Vieh im Oberstift Münster". Die Stadt Telgte verpflichtete ihn im Jahre 1797 für das Abdecken eines "verreckten Pferdes, Rindes oder Schweines", wenn der Eigentümer das Fell behalten wollte, nicht mehr als neun Schilling und vier Pfennige zu nehmen. Für seinen Schinderknecht, der die unverletzte Haut dem Viehhalter bringen mußte, durfte er einen Schilling Trinkgeld fordern. Während der napoleonischen Besetzung Westfalens wurde Leissner am 2 Februar 1812 zum Executeur des arrets criminals im Lippe-Departement er nannt. In dieser Funklion hatte er auch die Guillotine zu bedienen, die vor der Regierungskanzlei auf dem Domplatz aufgestellt wurde. Im Januar 1812 war bereits der münsterische Schlossermeister Veltmann beauftragt worden, "une machine a decapiter" herzustellen.

Halsgerichtsordnung
Von größerem Interesse ist jedoch Leissners Tätigkeit als letzter städtischer Scharfrichter unter der Strafgerichtsbarkeit des Rates. Diese erlosch mit der Besitznahme des Erbfürstentums Münster durch die Preußen. Im September 1804 berichtete Leissner an die Preußische Kriegs- und Domänenkammer, daß er in den letzten zwölf Jahren rund fünf Exekutionen vollzogen habe. Der Magistrat hatte am 8. Januar 1798 auf der Ratskammer sein offenbar letztes Todesurteil ausgesprochen. Wegen mehrfach verübten Kirchendiebstahls war Joseph Cerfors aus Elberfeld nach der Reichs Peinlichen Halsgerichtsordnung zur Abschreckung am Galgen mit dem Strang vom Leben zum Tod" verurteilt worden. Das Urteil bedurfte der Zustimmung durch den Landesherrn. Erzherzog Max Franz von Österreich. Kurfürst von Köln und Fürstbischof von Münster (1784 bis 1801). hatte als aufgeklärter Landesherr sich bei seinem Regierungsantritt die "Zusendung der auf Tortur und Todesstrafe lautenden Urteile" vorbehalten.
Grundlage der münsterschen Rechtsordnung bildete die reichsrechtliche Halsgerichtsordnung Kaiser Karls V. von 1532. Sie sah als legitimes Mittel die peinliche Befragung (Toftur) des Angeklagten zwecks Herbeiführung eines Geständnisses vor. Der Rat der Stadt entschied als Schöffenkollegium mit Stimmenmehrheit über die Anwendung der Tortur und den Grad der Folter.

Fünf Tortur-Grade
In Münster wurde die Tortur nach Ergänzungen der Kriminalprozessordnung durch Fürstbischof Christoph Bernhard von Galen vom Jahre 1651 in fünf Grade unterschieden: Die sogenannte "Verbal-Territion" bestand aus der Androhung der Tortur (1. Grad) und Hinführung zum Platz der Tortur unter Vorlegung der Folterinstrumente (2. Grad) Hier heißt es: "Eine bloße Verbal-Territion mag so weit gehen, dass der Scharfrichter alle zur Peinigung dienlichen Instrumente dem Inquisiten vorlege, ihn damit hart schrecke und darauf tue oder sich stelle, als ob er ihn auch wirklich angreifen wolle. Er darf aber zum Angriff nicht schreiten." Die Real-Territion" bestimmte im 3. Grad die Entkleidung des Beschuldigten mit Aufbindung: Anlegung der Daumenschrauben und Beinstöcke ohne jedoch körperliche Schmerzen zu bewirken, 4. Grad die "Aufziehung oder schlichte Peinigung" und im höchsten 5. Grad, die_"Scharfe Peinigung" mit Aufziehen und Strecken des Körpers auf der Follerleiter. Für die Anwendung des "peinlichen Verhörs" empfing der Scharfrichter einen Reichstaler, ebenso für das Ausstellen des Verurteilten am Pranger. Gegenüber dem Strafanpruch des landesherrlichen Stadtrichters zeigte sich der Rat gemäßigt und erkannte nur in seltenen Fällen auf die Real-Tortur vierten Grades.

Die Abschaffung der Folter erfolgte in Preußen 1740, Baden 1767, Kursachsen und Meck1enburg 1770. Im Fürstbistum Münster wurde sie formalrechtlich nicht aufgehoben, kam aber offenbar nicht mehr zur Anwendung und wirkte nur noch als Drohung fort. Justus Gruner berichtete in seiner Beschreibung Westfalens von1803: ".. dagegen lässt man die unglücklichen Gefangenen nun desto länger in Kerkern schmachten, um sie mürbe zu machen und zum Geständnis zu bringen .." Jene Missstände hatte jedoch nicht der Magistrat zu vertreten. Seit 1661 verfügte nämlich der landesherrliche Stadtrichter über die ausschließliche Gewalt der Strafermittlung und Anklageerhebung. Dieser berichtete dem auf der Ratskammer versammelten Rat über den Stand der Strafverfolgung im Namen des Fiskalats als landesherrliche Obrigkeit.

Richtplatz mit GalgenBild: Richtschwerter in der Bürgerhalle des Rathauses in Münster

Feuerhinrichtung
Mit Reskript vom 25. Juni 1798 hatte der Landesherr angeordnet, das letzte Todesurteil des Magistrates vom 8. Januar zu vollstrecken. Die Hinnrichtung sollte am mittelalterlichen Freistuhl auf der flohen Ward westlich von Albersloh bei Hiltrup erfolgen. Am 7. Juli wurde dem Verurteilten der Tag der Hinrichtung bekannt gemacht und am 11. Juli das Urteil vollzogen. Für die Aufrichtung des Galgens erhielt der münstersche Stadtzimmermeister Möllmann 22 Reichstaler. Dem Nachrichter Leissner wurden wegen .. "untadelhaft vollzogener Exekution" sieben Reichstaler aus der Stadtkämmerei gewährt. Am 14. Juli war am gleichen Ort eine weitere Hinrichtung vollzogen worden. Das Münsterische Intelligenzblatt berichtete: .. abermals ist auf der Hohen Ward ein berüchtigter Kirchendieb namens Kaspar Lange auch Kaiser genannt, Musketier beim hiesigen Infanterieregiment von Höflinger, nach kriegsrechtlichem Urteil am Pfahle erdrosselt und darauf dessen Leichnahm auf einem Scheiterhaufen verbrannt.

Für Westfalen bedeutete diese Verbrennung die offenbar letzte, vollzogene, Feuerhinrichtung. In Berlin fand die letzte Verbrennung eines Deliquenten im Jahre 1786 statt. Die Verbrennung stellte die vollkommenste Form einer "Reinigungsstrafe" dar. Ihre stärkste Verbreitung fand die Verbrennung im 16. Jahrhundert. Verbrannt wurde vorwiegend bei Hexerei, Ketzerei, Giftmischerei, Sodomie und Falschmünzerei. In der Regel wurde bei der Verbrennung ein Pfahl in den Boden gerammt und mit Reisig umschichtet. Der Übeltäter wurde vorher erwürgt oder ihm wurde ein Säckchen Pulver um den Hals gebunden, damit der Tod vor der Verbrennung eintrat.

Letzte Hinrichtung
Vor dem Aegidii-Tor fand am 4 Dezember 1824 um 8 Uhr eine der letzten öffentlichen Hinrichtungen auf der "Galgheide", dem mittelalterlichen Richtplatz der Stadt Münster statt, wo früher der städtische Galgen und das Rad gestanden halten. Hingerichtet wurde der Tagelöhner Johan Henrich Kassen aus Südlohn, der bei einem Einbruchdiebstahl die Hausfrau Catharina Krabbe im Kirchspiel Weseke ermordet hatte. Der Kriminal·Senat der Kgl. Preußischen Ober1andesgerichts in Münster verurteilte den Mörder am 3. Oktober 1824 "zur Strafe des Rades". Nach der Bestätigung des Todesurteils durch den König wurde die "Inquisition" zur Warnung öffentlich bekanntgemacht ... möge der schreckliche Auftritt. der auch den Rohesten der zahlreich Anwesenden erschüttert haben muss, seine heilsame Wirkung nicht verfehlen." Über eine solche Hinrichtung berichtete der münsterländische Bauer Philipp Richter. die er als Schuler erlebt hatte.

Ein Augenzeuge
Eine große Anzahl Menschen umstand das erbaute Schafott. Dasselbe war in der Runde gebaut mit einem Riegel herum und war so hoch, dass die Umstehenden alles sehen konnten. was darauf geschah. Der Mensch wurde gerädert: als er sich hingelegt hatte und befestigt worden war, zog der Schinderknecht seinen Rock aus, hing denselben auf das Geländer des Schafotts, steckte seine weiße Schürze oben unter das Schürzenband und griff zu dem Rade. Dieses mochte oben die Rundung haben wie ein Pflugrad. Der in der Mitte befindliche Ständer war so lang, dass sich der Schinderknecht nur in etwa zu biegen brauchte, um den Stoß mit dem Rade auf dm Knochen des Delinquenten ausführen zu können, denn unten in diesem Ständer war ein eisernes Marterinstrument befestigt. Ein eiserner Pinn stand wohl eine Handbreit aus dem Ständer hervor, der danach eingerichtet war, dass beim Auffallen und Stoßen dieses Marterrades der Knochen des gemartert Werdenden zerbrach und zerschmetterte. Der Scharfrichter gab durch Worte und Zeichen des ersten Fingers seiner Hand allemal die Distanz an, wo der Schinderknecht den eisernen Pragen des Radständers auf den Knochen stoßen und fallen lassen musste. Das Rad war so schwer, dass dem Schinderknecht über dieser Mordarbeit der Schweiß ausbrach. Die Zahl der Knochenbrechungen durch das Rad weiß ich nicht mehr genau, aber es waren nicht weniger als ein Stoß auf den Oberschenkel, auf jeden Arm und zwei Stöße. auf die Brust zuletzt mindestens drei Stöße, sind also elf Knochenbrechungen insgesamt. Als der Schindcrknecht nun dem einen Fuß den Knochen zerschmetterte, flog dem Gemarterten der eine neue Holschen vom Fuße, so kegelgerade in die Höhe. dass der Schinderknecht und die anderen Persönlichkeiten, die auf dem Schafott standen, vor dem auffliegenden Holschen die Augen hüten mussten, damit der Holschen ihnen nicht auf den Kopf fiel. Dieses gab ein allgemeines Hallo und teilweises Gelächter unter der großen Zahl der Zuschauer. Wo ich mit meinem Oheim Caspar stand, äußerte ein Witzbold. Was nun seine Liebste wohl denken möchte! Andere Mädchen machten ihm die Sache streitig. indem sie sagten, ein Mörder könne keine Liebste gehabt haben. Der Erstere blieb aber bei seiner Aussage. Dieser zum Tode Verurteilte war ein junger Schneidergeselle, wie gesagt wurde zur Zeit der Hinrichtung. kaum 20Jahre alt. Er hatte in einem Köllerhaus im Tagelohn genäht. Diese Leute hatten eine Kuh verkauft. Die Hausleute waren abwesend gewesen. Ein Kind von etwa sieben Jahren oder etwas älter hatte er nach dem Gelde gefragt, wo dasselbe wäre. Das Kind hatte ihm gesagt, wo das Geld läge in Verwahrung. Daraufhin hatte er das Kind ermordet und unter die Balkenluke gelegt, als wenn es vom Balken gefallen wäre und hatte das Geld für die Kuh mitgenommen. Wie er zur Richtstätte gefahren wurde, wurde erzählt, dass er an dem Kötterhause vorbeikäme, wo er das Kind getötet hätte. Als die Abschlachtung vorbei war, wurde der tote Körper in einen Sack gesteckt, an der nördlichen Seite des Schafotts auf die Kante gelegt, von wo er durch ein etwaiges Anstoßen in das Loch fiel, das darunter gegraben war. Nun ging es mit klingender Musik des Militärs wieder nach Münster hin durch das ehemalige Festungstor (Ludgeri-Tor)".

Ohne Öffentlichkeit
Erst mit Einführung und Inkraftsetzung des neuen Strafgesetzbuches am1. Juli 1851, das als Grundlage für das spätere Reichsstrafgesetzbuch diente, wurde in Preußen die Öffentlichkeit von der Hinrichtung ausgeschlossen. Nunmehr sollten zwölf Vertreter der Gemeinde, in Münster zehn Ratsherren und zwei Magistratsmitglieder der Hinrichtung beiwohnen. Die Exekutionen fanden im großen Hof des Zuchthauses am Zwinger statt und wurden später im Gerichtsgefängnis vollzogen. Die münstersche Tageszeitung "Westfälischer Merkur" vom 1. April 1853 berichtete: "Sicherer Mitteilung zur Folge wird Morgen um 6 1/2 Uhr früh, der wegen Totschlages verurteilte Anton Heuermann aus Lüdinghausen, innerhalb der Mauern der alten Strafanstalt mit dem Beile hingerichtet. Das Zeichen zu diesem schauerlichen Akte der Gerechtigkeit soll mit der Glocke auf dem Martini Kirchturm gegeben werden. "Hiermit schloss sich der Kreis der Mitwirkung des Rates der Stadt Münster in Angelegenheiten der Strafgerichtsbarkeit. Jahrhundertelang hatte er Recht über Tod und Leben gesprochen. nun mehr wirkten die Ratsvertreter nur .noch als öffentliche Zeugen bei der Strafvollstreckung und Hinrichtung mit.

Gegen Todesstrafe
In Münster flammte nach der Revolution zu Beginn der 1850er Jahre die Diskussion wieder auf um Abschaffung der Todesstrafe, "die weder abschreckend noch sinnvoll" sei. Ihre Gegner erklärten öffentlich: ... willman einmal aus Menschlichkeit sich gegen die Todesstrafe erklären, so muss man auch dem Mörder im Gefängnisse eine nicht mindermenschliche Behandlung zu Teil werden lassen, um dadurch auf sein Gemüt einzuwirken und sei ne Liebe zu gewinnen. Daher mäßige Arbeit und verhältnismäßig gute Kost, so dass er besser gestellt würde. als eine große Menge armer Leute, die auf Strohschlafen. im Winter frieren und oft nur von Kartoffeln leben. Deshalb können wir solcher grundrechtlich philanthropischer Auffassung der todeswürdigen Verbrechen unmöglich das Wort reden ... "

Am Schandpfahl
Durch das "neue Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten" von 1851 wurde auch in Münster die öffentliche Bestrafung, das Ausstellen am Pranger abgeschafft. Noch im Jahre 1846 ersuchte das hiesige Land- und Stadtgericht unter Mitteilung an den Bürgermeisterden Stadtzimmermeister Schmitz um Aufstellung des hölzernen Schandpfahles. Dieser wurde auf dem Rathaus verwahrt und mit einer aus vier Stücken bestehenden Treppe auf dem Prinzipalmarkt in Höhe des Rathauses errichtet. Das Ausstellender Verurteilten erfolgte gewöhnlich an den Markttagen und sollte der breiten Öffentlichkeit als abschreckendes Beispiel dienen. Im Februar 1834 war der Tagelöhner Hermann Richter aus dem Kirchspiel Ennigerloh wegen begangener Betrügereien von 11 bis 12Uhr zur öffentlichen Ausstellung verurteilt worden. Wegen Meineidesstellte man im Oktober 1844 zwei Verurteilte an den Schandpfahl.

    


Die Fraterherren in Sendenhorst  | HG Fascies


Sendenhorst - Sie konnten schalten und walten - über die Fraterherren „Fraterherren" bestimmten im Mittelalter wichtige Teile des kirchlichen Lebens Auf dem Stadtplan ist oben nach Auffassung des Stadt- und Heimatarchivars das "Fraterhaus" abgebildet, von dem die „Fraterherren" zur Kirche gingen. Der Weg ist mit einer gestrichelten Linie eingezeichnet. -

Im Sendenhorster Stadtplan von 1772 hat das Stadt- und Heimatarchiv das so genannte „Fraterherrenhaus" lokalisiert. Es hat laut Hans-Günther Fascies nördlich der Kirche hinter den heutigen Häusern Dünnewald und Pöttken gestanden, wo sich heute der Parkplatz befindet. Es war auf einer damals großen Freifläche gebaut worden. Die „Fraterherren" waren eine katholische Bruderschaft des späten Mittelalters.

Einen Zugang zur Kirche hatten die„Fraterherren” durch eine Gasse zwischen den Häusern der früheren Küsterei und Dünnewald. Dann überquerten sie die heutige Kirchstraße, gingen durch eine Pforte ein Kirchplatz und erreichten die Kirche. Der ehemalige Kirchplatzzugang war gegenüber heute ein wenig ostwärts veschoben und heute noch durch das kleine, stets verschlossene Eisentor zu erkennen. Nicht auszuschließen sei ein unterirdischer Gang der sich bei Baumaßnahmen an der nördlichen Kirchstraße angedeutethabe, meint Fascies.

Auch Heimatforscher Wilhelm Kleinhans habe Anfang des 20. Jahrhunderts ähnliche Vermutungen notiert. Allerdings gebe es bis heute diesbezüglich nicht Konkretes. Sicher sei heute jedoch, dass nur die „Fraterherren" die Kirche von Norden betreten und das alleinige Recht zum Begehen dieses Weges zur Kirche in Anspruch genommen hätten. „Allen Sendenhorstern stand nur das Südportal offen, ob sie von Norden oder Osten, von Süden oder Westen kamen. Auch für den Pastor gab es keinen anderen Weg zur Kirche", meint Fascies. Die punktierte Linienführung im alten Stadtplan mache das sehr deutlich.

Der Sitz der Fraterherren sei seit 1409 in Münster gewesen. Ihr Domizil war im Bereich der münsterschen Neustraße im Bereich der münsterschen Neustraße und Bispinghofstraße. Im 15. Jahrhundert sei ein Fraterherr auch in Seendenhorst sesshaft geworden. „Ein kleines" Haus, das keineswegs dem Bruderschaftsleben gerecht werden konnte, muss ihm wohl zur Verfügung gestanden haben, vermutet Fascies.Der Fraterherr sei sehr arbeilsam gewesen. Er sei aber nicht als Hilfe im pastoralem Dienst in Erscheinung getreten, sondern habe bestimmt, was im kirchlichen Leben zu geschehen hatte.Die heimischen Pastöre vergruben sich in Schreibereien und ließen den Fraterherren schalten und walten. Im Laufe der Zeit hatte sich der Bruderschaftler auch Anerkennung in der Bürgerschaft erworben", erklärt der Archivar.

So vermachte man ihm von Zeit zu Zeit Haus und Hof sowie Ländereien. Vermietungen und Verpachtungen brachten Geld. des ,Fraterherren' Unterhalt, und führten zum Einsatz eines weiteren Fraterherren aus Münster in Sendenborst", so Fascies. Im Jahr 1510, nach einem Gesuch des "Fraterherren"-Klosters an den Fürstbischof, sei es zum Bau des Hauses und darin der Einrichtung zweier Wohnungen gekommen. Ein Vertrag aus dem Jahre 1631 zwischen dem "Fraterhaus" in Münster und Bürgermeister Johan Vischer von Sendenhorst mache deutlich, dass sieben Fraterherren in Sendenhotrst ansässig waren. In der Stadt habe sich im beginnenden 17. Jahrhundert eine regelrechte Zweigniederlassung des münsterischen Konventes etabliert.

    


Die Fraterherren (aus der Sicht Petzmeyer)


Im Gegensatz zu Herrn Fascies sieht H. Petzmeyer keine Beweise für eeine dauerhafte Residenz der Fraterherren. Auch der unterirdische Gang wird nicht erwähnt. Überhaupt liest sich dieser Bericht aus seiner Stadtgeschichte ein wenig anders. Machen Sie sich selbst ein Bild! -

Sendenhorst: Eine wichtige Rolle für die Entwicklung der Besitzverhältnisse in und vor der Stadt bildeten die Fraterherren aus Münster, die sich seit 1480 in Stadt und Kirchspiel einkauften. Die Fraterherren haben ihren Ursprung in den Niederlanden, wo sich im 14. Jahrhundert eine neue, freiere Form gemeinsamen religiösen Lebens entwickelt hatte. Anknüpfend an die vertraute Tradition der Beginenhäuser, hatten sich die »Brüder vom gemeinsamen Leben« in Brüderhäusern zusammengeschlossen, um ohne ausdrückliches Gelübde unter einem selbstgewählten Oberen in gegenseitiger Liebe und Achtung zu leben.
aus H. Petzmeyer
Ihren Lebensunterhalt verdienten sich die Brüder vor allem durch das Schreiben und Ausmalen von Büchern. In Münster gründete Heinrich von Ahaus 1401 das Fraterhaus »Zum Springborn«26. 80 Jahre später begann das Fraterhaus mit dem Erwerb seiner Sendenhorster Besitzungen. Hatten die Fraterherren ihren Grundsatz von der Geringschätzung weltlichen Besitzes< aufgegeben oder war die Grundstückspolitik nur ein notwendiges Mittel zur Sicherung der Existenz, nachdem der beginnende Buchdruck das Schreiben von Büchern mehr und mehr überflüssig machte? Wir wissen es nicht.

Die Brüder vom gemeinsamen Leben strebten nach persönlicher Vervollkommnung. Sie waren keine Seelenhirten, keine Volkserzieher. Zu keiner Zeit traten sie in Sendenhorst hervor als Seelsorger, als Prediger oder als Leitfiguren in der orientierungslosen Zeit der Reformation. Ihr Sendenhorster Geschäft war der Grundstückserwerb, den sie mit Sachverstand und Zielstrebigkeit zum Abschluß brachten. Zunächst hatten sie sich feste Einnahmen durch Rentenkauf verschafft (»jener dem Mittelalter eigenen Umgehung des kirchlichen Verbots, Zinsen für den Verleih von Geld zu nehmen«. Höing).
Seit 1462, vermehrt seit 1480, legte das Fraterhaus überschüssiges Kapital in Ländereien an. Schwerpunkt dieser Erwerbspolitik war außer einem Kamp vor dem Liebfrauentor in Münster vor allem Sendenhorst. Anhand der Urkunden des Fraterhauses lassen sich diese Erwerbungen recht gut verfolgen. Man ging offensichtlich nach einem wohlüberlegten Plan vor. Geriet ein Adliger oder Bürger in Schwierigkeiten, standen die Fraterherren als Käufer seines Besitzes bereit. Eine nicht ganz einwandfreie Rolle spielte Rentmeister Ocke beim Grundstückserwerb. Man hat den Eindruck, Ocke trat häufig nur als Strohmann der Fraterherren auf, denn viele Besitzungen gingen zunächst durch seine Hände, bevor sie endgültig bei den Fraterherren blieben.

Und so brachten sie ihren Sendenhorster Besitz zusammen, kapitalstark und zielstrebig. Ungünstig liegende Grundstücke wurden getauscht, kleinere Höfe zusammengelegt, die Zehntabgaben und das Meßkorn, falls möglich, abgelöst. Die Fraterherren wirtschafteten nach den modernen Grundsätzen ihrer Zeit. Kleine Einzelhöfe und Kotten faßten sie zu unbesetzten, wüsten Hoven zusammen. Nicht Erbpacht auf Lebenszeit, Zeitpacht auf die Dauer von 4, 8 oder 12 Jahren galt als wirtschaftlich. Die Fraterherren hatten keine Leibeigenen, aber nicht aus religiös- moralischen Erwägungen (»von der Freiheit eines Christenmenschen«), sondern weil es sich als wirtschaftlicher erwies. Vom »Fraterherrenhof« am südlichen Ende der Nordstraße verwalteten Pächter, im 16./17. Jahrhundert die Familien Kolsendorp und Fihe, die Liegenschaften im Norden und Osten der Stadt.
Wollten die Fraterherren in Sendenhorst eine Niederlassung gründen, ein Fraterhaus Sendenhorst? Wahrscheinlich nicht.

Sehen wir von Pastor Johannes Engelberting (1623-1652) ab, der vor seiner Berufung nach Sendenhorst Kanonikus am Frater hause gewesen war, so haben zu keiner Zeit Fraterherren in Sendenhorst gelebt. Pächter Kolsendorp mußte im 17. Jahrhundert in seinem Hause eine »Fraterherrenkammer« instand halten, ein Hinweis, daß die Fraterherren gelegentlich Sendenhorst besuchten, um nach dem Rechten zu sehen. Die Güter der Fraterherren, Ländereien und Häuser, waren sehr zum Ärger der Bürger von den Steuern befreit. Da die Steuern der Stadt auf eine feste Summe fixiert waren, scherten die Fraterherren aus dem Solidarverband aller Steuerzahler aus.
Beschwerde der Stadt 1705: Die münsterischen Fraterherren haben in Sendenhorst ein großes schatzbares Haus stehen und dazu einige Ländereien außerhalb der Stadt. Vor ungefähr drei Jahren [1702] hat der verstorbenen Pater Santman auf den Ländereien ein neues Haus bauen lassen und einen Pächter darauf gesetzt, und das Gut adlig frei verpachtet. Von dem Haus aber hat er Henxel [Beschläge], Bretter und Balken genommen.

    


Vereinsleben und Geselligkeit in Sendenhorst zwischen 1933 und 1948  | H. Petzmeyder | Heimatkalender 1995


Sendenhorst Pluralität und genormte "Volksgemeinschaft" - Die letzten Märztage des Jahres 1945 brachten auch für Sendenhorst das Ende des Krieges und der nationalsozialistischen Herrschaft. Wie Stadt und Kirchspiel diese Zeit erlebten, darüber ist an anderer Stelle geschrieben worden (vgl. Heinrich Petzmeyer. Das Kriegsende in Sendenhorst. Geschichte einer Kleinstadt im Münsterland (1993). und Sendenhorst - Kontinuität oder Neubeginn?

Sportler zum Hitlergruß in der Mühlenkuhle - Im Hintergrund das St. Josef-Stift, davor das alte Rathaus (Wurde 1911 aus der Stadt hier an das Westtor hin umgesetzt.)

Zweifellos steht nach 50 Jahren die Erinnerung an Not und Elend des Krieges, an Zerstörung und Tod, an Vertreibung und Flucht im Vordergrund. Aber Nationalsozialismus und Krieg vernichteten oder veränderten fast alle Lebensbereiche. So wandelten sich zwischen 1933 und 1945 das soziale Leben, die gesellschaftlichen Beziehungen und Bindungen der Menschen untereinander: auf den ersten Blick weniger spektakulär, weniger einschneidend als die großen Kriegsereignisse, aber dennoch so grundlegend. dass niemand nach dem Krieg einfach wieder vor 1933 anfangen konnte. Im Folgenden soll das gesellschaftliche Leben der Stadt Sendenhorst von der Zeit der Machtübernahme bis zur Nachkriegszeit beschrieben werden.

Geselligkeit, gemeinsame Aktivitäten oder Zerstreuungen fanden fast ausschließlich in den Vereinen statt. Die Zeit vor 50, 60 Jahren unterschied sich grundlegend von unserer heutigen, durch Massenmedien geprägten Welt. Entspannung, Vergnügen. Abwechslung wurden nicht konsumgerecht serviert, sondern mussten kreativ erarbeitet werden. in Theatergruppen, Chören, in der Nachbarschaft und Familie, vor allem aber in den Vereinen. Die Vereine hatten einen außerordentlich hohen Stellenwert im Leben der Einzelnen wie der gesamten Stadt.

In den 1930er Jahren dominierten ohne Zweifel die katholischen Vereine mit enger Bindung an die Kirche. Gesellenverein (Kolping), Arbeiterverein, Jungmännerverein, Jungfrauenverein, Verein für Frauen und Mütter, Kirchenchor. Sendenhorst hatte zwei Gesangvereine, zwei Schützenvereine, zwei Sportvereine (TU und DJK), einen Krieger und Landwehrverein, den landwirtschaftlichen Ortsverein, Ziegenzucht-, Kaninchen-, Bienenzucht - und Brieftaubenvereine, nicht zu vergessen den Heimatverein. Die Aufzählung ist nicht vollständig.

Den Nationalsozialisten passte die Vielzahl der Vereine durchaus nicht in ihr Weltbild. Pluralität hatte in der genormten Volksgemeinschaft keinen Platz. Nach und nach wurden die Vereine an die Seite gedrängt. verboten oder nach dem Führerprinzip gleichgeschaltet.

Im Sommer 1933 begann eine erste Kampagne gegen die katholischen Vereine. Eigentlich ohne erzwingenden Grund lösten sich der Sendenborster katholische Arbeiterverein und der Jungmännerverein auf. Die verbliebenen katholischen Vereine zogen sich, wie verlangt, hinter die Kirchenmauer zurück, erklären, ihr Ziel sei einzig die religiöse Erziehung oder, wie es der Frauen- und Mütterverein formulierte, die "fürsorgliche kirchenanschauliche Tätigkeit". So gelang es dem Gesellenverein - er nannte sich jetzt Deutsche Kolpingfamilie - bis zum Beginn des Krieges weiter zu bestehen. Der Allgemeine Schützenverein durfte sein letztes Vorkriegsschützenfest 1939 nur feiern, weil er sich zur "'Ausbildung von Scharfschützen" und zur "Wehrhaftmachung unseres Deutschen Vaterlandes" bereiterklärt hatte. Die körperliche Ertüchtigung der Jugend hatte bei den Nationalsozialisten einen hohen Stellenwert. Zwar wurde die katholische DJK (Deutsche Jugendkraft) 1934 verboten, aber die Aktivitäten des Turn- und Sportvereins wurden wohlwollend gefördert. 1935 meldete der Bürgermeister: ''Das Verhältnis zwischen HJ und ihren Untergliederungen zu den Turn- und Sportverbänden kann als gut bezeichnet werden, zumal der Gefolgschaftsführer der HJ und der Führer des Jungvolks aktive Mitglieder des hiesigen Turnvereins sind. Mitglieder der konfessionellen Jugendverbünde treten in keiner Weise in Erscheinung."

Die örtlichen NS-Organisationen haben niemals den Stellenwert der traditionellen Vereine erreicht. Die Staatsjugend, Hitlerjugend und Bund Deutscher Mädel Jungvolk und Jungmädchen, konnten bis zum Kriegsbeginn nicht alle Sendenborster Jugendlichen erfassen. Die SA und die Ortsgruppe der NSDAP traten nur sporadisch mit eigenen Veranstaltungen an die Öffentlichkeit, meist auf Weisung der Kreisleitung. Die Aufführung des Theaterstücks „Der Überläufer“ im Rahmen der Kreiskulturwoche im Mai 1939 bescherte der NS-Ortsgruppe ein beträchtliches Defizit, weil die Stadt ab einzige Gemeinde des Kreises keine Mittel in den Haushaltsplan gesetzt hatte.

Mit Kriegsbeginn September 1939 endeten alle Tätigkeiten der noch bestehenden Vereine. Viele Vereinsmitglieder waren eingezogen. An die Stelle geschlossener Veranstaltungen traten mehr und mehr von den Wirten organisierte „Tanzlustbarkeiten“ 1940 am Samstag und Sonntag zwischen 19 und 22 Uhr, 1941 ab 18 Uhr. Im Saale Werring oder Herweg führte die Gaufilmstelle wöchentlich Wochenschau, Kulturfilm und Spielfilm vor. In den letzten Kriegsjahren waren die Säle, der Ort für Veranstaltungen, von Kriegsgefangenen. ausländischen Arbeitern oder Soldaten belegt.

In den Mittagstunden des 31. März 1945 besetzten amerikanische Truppen Sendenhorst und beendeten damit den Krieg für die Bevölkerung. Unerwartet schnell normalisierten sich die Verhältnisse. Unter dem von den Amerikanern ernannten Bürgermeister Strotmann arbeitete die Verwaltung wieder. Im Laufe des Sommers wurde der Bahnverkehr eröffnet, Post und Telefonnetz kamen wieder in Gang. Das Kriegsende wurde von der Bevölkerung ab Befreiung von einer ungeheuren Last empfunden. Das Abhören ausländischer Sender wurde nicht länger mit der Todesstrafe bedroht. Schwarzschlachtungen. Schwarzbrennerei, Mogeleien bei der Ablieferung und alle die Übertretungen der strengen Kriegswirtschaftsgesetze wurden nicht länger als Sabotage des Endsieges bestraft.

Sendenhorst war auch 1945 noch die Stadt des Korns, die Branntweinstadt. Die Brennereien hatten riesige Schnappsvorräte, die wenige Stunden vor dem Einmarsch der Amerikaner auf die Privathaushalte umverteilt wurden, damit sie nicht in die Hände des Feindes fielen. Sicherlich half diese unerwartete Sonderverteilung manchem, die Stunde NulL das Hinübergleiten in die kampflose Zeit, etwas freundlicher, rosiger zu sehen. Man sah durchaus das Leid der vielen Familien, deren Söhne oder Väter im Krieg gefallen, in Gefangenschaft oder vermisst waren. Man fühlte mit den Ausgebombten, den Vertriebenen, den Flüchtlingen. Aber über allem stand da ungeschriebene Motto „Hurra. Wir leben noch!“

Bild: Die ausgebaggerte Sandkuhle bei Woestmanns Mühle war ein beliebter Treffpunkt der Vereine. Hier: Leistungsschau des Ziegenzuchtvereins in den 1920er Jahren

Bereits im Herbst des Jahres 1945 fanden die ersten öffentlichen Turnveranstaltungen statt. Zur gleichen Zeit wurde Sendenhorst um eine geschätzte Attraktion bereichert, im Saal Werring begann das Losto-Filmtheater (Lomberg-Storck) seine Vorführungen. [Anm. der Red.: im Saal Werring war das Losto-Theater erst später ansässig, zuerst war das Kino im Saal Herweg, Rückseite der heutigen Volksbank Quelle: mehrere Zeitzeugen]

Zunehmend setzte sich die Bevölkerung über die Verbote und Einschränkungen der Militärregierung hinweg. Im Dezember 1945 teilte der Regierungspräsident fest: „Die Durchführung des Tanzverbotes stößt auf zunehmende Schwierigkeiten. Im Frühjahr 1946 bemängelte die örtliche Polizei, die von der Militärregierung festgelegte nächtliche Sperrstunde werde nur mangelhaft beachtet. Die Militärregierung beanstandete, dass immer wieder Veranstaltungen ohne die notwendige Genehmigung stattfanden.

Am 6. November 1945 fand ein Klavierkonzert statt. Es war der Beginn einer Reihe von kulturell anspruchsvollen Veranstaltungen. Besonders gefördert und imitiert durch fahlreiche Münsteraner, die wegen der Zerstörung ihrer Wohnungen in Sendenhorst Unterkunft gefunden hatten. Der Kulturring Sendenhorst (Vorsitzender 1948: Oberstudiendirektor Klein, 1949: Herr Meuser) organisierte Theateraufführungen und Konzertabende von beträchtlichem Niveau. so im Januar 1949 in Verbindung mit dem dramaturgischen Institut Düsseldorf das „Spiel von den Heiligen drei Königen“ von Felix Timmermans und, wenige Wochen später, „Des Teufels General" von Carl Zuckmayer, aufgeführt vom Neuen Westfalentheater Gütersloh. Leider ging die kurze kulturelle Blütezeit im Strudel der Währungsreform unter. In den Wirtschaftswunderzeiten wollten oder konnten nur wenige harte DM für kulturellen Luxus ausgeben.

Die traditionellen Vereine der Vorkriegszeit nahmen im Winter 1945 ihre Tätigkeit wieder auf. Besonders die Kolpingfamilie war mit Gesangveranstaltungen geselligen Abenden und Tanzveranstaltungen sehr aktiv.

Am 13. Januar 1948 feierte die Sportgemeinschaft ihren ersten Nachkriegskarneval. Der Gesangchor des katholischen Gesellenvereins (Franz Pöttken) führte im April 1948 ein Volkskonzert auf. Die SG organisierte vom 13. bis 20. Juni 1948 eine Sportwoche mit Fußballturnier, Tischtennisturnier und abschließendem Schlussball. Zur gleichen Zeit trafen sich die Johannisbrüder zu ihrem ersten Schützenfest nach dem Kriege.

Zum Schluss soll der Wiederbeginn der Jugendarbeit kurz dargestellt werden. Nach Auflösung der katholischen Jugendverbände hatten die meisten jungen Sendenhorster der NS-Staatsjugend beitreten müssen. Die britische Besatzung legte bereits im September 1945 Pläne für die Wiederaufnahme von Jugendorganisationen vor. Auf freiwilliger Grundlage sollten sich Jugendverbände mit „religiöser, kultureller oder auf Erholung gerichteter Zielsetzung“ bilden. Allerdings: „Drill, Marschieren und besonders jene Art von straff organisierten Reiterzielen, welche die Nationalsozialisten zur Stärkung des Kampfgeistes förderten, können nicht geduldet werden“. Eine freiheitlich denkende und wirklich demokratische Führerschaft sollte herangebildet werden, „welche die ihr lebendigen Ideale von Ritterlichkeit, Ehrenhaftigkeit und Großmut weitergeben kann.“ Ohne Zweifel, hier haben boy-scout (Pfadfinder) mitgearbeitet.

Zur Jahreswende 1945/46 wurde der Turnverein unter Leitung („Förderer“) von Franz Menke und Paul Glinka mit Geräteturnen, Bodenturnen, Leichtathletik und Fußball wieder aktiv. Die katholische Jugend erfasste 170 Jungen und Mädchen in acht Gruppen. Ziele und Betätigung formulierte Pfarrer Westermann so: „Jungen und Mädchen sollen zu echten und natürlichen verantwortungsbewussten Männern und Frauen und ganzen und gläubigen Christen gebildet werden. Die Arbeit im Gruppenheim umfasste Vorträge religiöser allgemeinbildender und beruflicher Art, Singen, Musik, Spiel und Theater; außerhalb des Heimes Wandern, Fahrten, Spiel und Sport. Die Mitgliedschaft ist freiwillig. Kein Jugendlicher wird aus politischen oder rassischen Gründen ausgeschlossen. Voraussetzung ist die Zugehörigkeit zur katholischen Kirche. Es wird nicht geduldet, dass dem Ansehen oder die Autorität der Militärregierung untergraben wird“

Die Vorstandsmitglieder der Sport- und Jugendvereine wurden Ende 1946 auf Anordnung des Kreiskommandanten Major Drummond auf ihre politische Unbedenklichkeit überprüft. Erst nach Abschluss dieses Verfahrens wurden die Vereine offiziell genehmigt (TUS am 28. April 1947, Bund der katholischen Jugend Sendenhorst am 14. November 1948). Einem Bericht über die Jugendpflegearbeit in Sendenhorst vom November 1948 entnehmen wir: „Es bestehen drei Jugendgruppen für Jungen, vier für Mädchen. Leiter der katholischen Jugend ist Vikar Dresjan. Es existiert kein Jugendpflegeausschuss. Heimatlose und herumvagabundierende Jugendliche werden individuell betreut.“

    


Landesherren mußten für die Schulden ihrer Vorgänger aufkommen | NN


Sendenhorst Der zweite Teil der Serie über „Steuern und Abgaben in der Vergangenheit und Gegenwart“ beschäftigt sich mit der Einführung einer regelmäßigen Staatssteuer durch die Bischöfe von Münster.

Bild: Angriff auf Münster durch die Truppen von Fürstbischof Franz von Waldeck an Pfingsten 1534. Wikipedia

782 hatte Karl der Große auf einer Reichsversammlung an den Lippequellen, wahrscheinlich in Paderborn, den Sachsen den Kirchenzehnt verordnet. Zehn Prozent des landwirtschaftlichen Rohertrags waren künftig zum Unterhalt von Geistlichen und Kirchengebäuden abzuliefern. Widerstrebend stellten sich die Bauern in Westfalen und anderswo in Sachen auf die für sie bis dahin völlig unbekannte Leistung von Abgaben ein. 500 Jahre später war der Zehnte so selbstverständlich geworden wie heute die Gewerbe- oder Grundsteuer. Die Bischöfe von Münster hatten in einem hundertjährigen Ringen mit Nachbarn und aufsässigen Adeligen ihres Bistums ein geschlossenes Gebiet unter ihre Herrschaft gebracht, das sich im wesentlichen mit dem heutigen Regierungsbezirk Münster deckte. Drosten, Amtleute, Richter und andere Verwaltungsbeamte wurden von ihnen anfänglich mit den Einkünften von Höfen, Grundstücken oder Zöllen entschädigt. Als sich der Zahlungsverkehr immer mehr von den Natural- auf die Geldwirtschaft umstellte, brauchten die Bischöfe dringend bares Geld.

Bezeichnenderweise nannte man die ersten Versuche einer allgemeinen Steuer Bede (Bitte). Der Landesherr stellte bei den Mitwirkungsorganen des Bistums, bei Adel, Domgeistlichkeit und Städten, einen Antrag auf Steuererhebung. War man einverstanden, dann durften die bischöflichen Beamten von jedem Untertanen über 12 Jahre – mit zwölf war man gefirmt und galt als erwachsen – eine einmalige, außerordentliche Steuer, im damaligen Sprachgebrauch Schatzung genannt, erheben. Meist wurde dem Bischof das Versprechen abgenötigt, während seiner gesamten Regierungszeit keine Steuern mehr zu fordern. Die Landesherren machten Schulden, für die ihre Nachfolger aufkommen mußten. Adel, Geistlichkeit und Städte, die Landstände, sahen ein, daß einem neuen Bischof Gelegenheit gegeben werden mußte, die Schulden seines Vorgängers loszuwerden. Es wurde üblich, „Willkommensschatzungen“ für das gesamte Bistum auszuschreiben.

Als nach 30jähriger Regierungszeit Bischof Heinrich von Schwarzburg starb, wählte das Domkapitel 1497 den Bischof von Osnabrück, Konrad von Rietberg, zum gleichzeitigen Bischof von Münster. Bischof Konrad bekam eine Willkommensschatzung bewilligt, die er in den folgenden beiden Jahren erheben ließ. Die Regierung des Bischofs wußte nicht so recht, nach welchen Grundsätzen sie die Untertanen besteuern sollte. Deshalb ging sie den einfachsten, aber auch den ungerechtesten Weg, sie schrieb eine Kopfsteuer aus. Jeder Erwachsene in Stadt und Land, ob Großkaufmann oder Tagelöhner zahlte 2 Schilling und 6 Pfennig = 30 Pfennig. Die Schatzung von 1498/99 lieferte mit einem vollständigen Register aller Familien in Kirchspiel und Stadt eine wertvolle ortsgeschichtliche Quelle.

75 steuerfähige und –pflichtige Haushalte wohnten 1498 innerhalb der Umwallungen der Stadt Sendenhorst. Es gab viele alleinstehende Frauen und viele Ehepaare oder steuerpflichtige Kinder. Evert thon Santwege (Bewirtschafter eines Hofes in der Bauerschaft Sandfort), Schulte ter Geist und Lubbert Brüggeman von der Oststraße hatten sechs steuerpflichtige Personen in ihrem Haushalt, alle übrigen Familien in der Stadt waren kleiner. Elf Personen zählten zu den „pauperes“, den Armen, die zahlungsunfähig waren. Die Adelsfamilien von der Heghe und Kunschop waren steuerfrei, ebenso der Küster mit seiner Frau und die vier Torwächter. Unter den Hausnamen finden wir Zuwanderer aus dem Kirchspiel (Kolsinctorp = Kössendrup, Geiseldorn = Geilern, Lindemann = Linnemann, Nysert = Nietgert), aber auch Namen, die heute noch vorkommen (Bonse, Weysteyn = Terwesten). Nicht einmal 250 Menschen lebten um 1500 in der Stadt Sendenhorst. Die 70 bis 80 Häuser drängten sich um die Kirche und säumten West- und Oststraße. Im Süden der Stadt stand die landesherrliche Burg, das Haus Sendenhorst, der spätere Drostenhof.

Die Bauerschaften des Sendenhorster Kirchspiels erscheinen in dem Steuerregister von 1498 in ihrer endgültigen Namensform. Die Hofesnamen wurden festgeschrieben und blieben bis in unser Jahrhundert hinein kaum verändert. Das Verzeichnis der Bauerschaft Brock mag dies verdeutlichen: Nysert (Niestert), Schulte to Broke (Schulze Bernd) Vornholt, Wilken (Wilking), Schulte Hinrik, Kolsendorp, Kerstien (Kersting), Hinrik upm Rotger (Röttgermann). 548 Erwachsene registrierte der bischöfliche Amtmann Johann Ocke in Sendenhorst Stadt und Kirchspiel. 68 Mark und 18 Pfennig war der Sendenhorster Anteil an 11 500 Mark, die Bischof Konrad von seinen Ständen als willkommen überreicht bekam. Obwohl jeder Bischof versprach, seine Untertanen mit weiteren Steuerlasten zu verschonen, wurden die Bürger und Bauern immer häufiger zur Kasse gebeten. Die Anlässe waren zwingend und die Landstände mußten wohl oder übel zustimmen.

Anlaß 1: Die Türkenkriege. Im Südosten des Deutschen Reiches bedrohten türkische Heere die Hauptstadt Wien. Kaiser Ferdinand verlangte eine Türkenhilfe von seinen Reichsländern. 1526 hatte das Stift Münster 2028 Gulden aufzubringen. 1532 mußte Münster 68 Reiter und 338 Fußsoldaten gegen die Türken schicken. Ihr Unterhalt verschlang 35 000 Gulden. 1544 kämpften 85 Berittene und 422 Fußknechte auf Münstersche Rechnung gegen die Türken. Wiederum wurde eine Steuer ausgeschrieben. Und endlich rangen sich die Stände dazu durch, die ungerechte Kopfsteuer aufzuheben und die Steuer nach Größe des Hofes oder Höhe des Vermögens anzusetzen. Jedes Kirchspiel bekam ein bestimmtes Quantum angewiesen. Pastor, Kirchräte, zwei vermögende und zwei minderbemittelte Einwohner bildeten eine Steuerkommission, die sich um eine gerechte Umlage bemühte.

Für Sendenhorst-Stadt liefert die Türkensteuer von 1544 das zweite vollständige Haushaltsverzeichnis. Zum ersten Mal wird die Bevölkerung nach Stadtvierteln veranschlagt. 31 Haushalte gab es im „Suiderverdel“, je 23 im „Norder“- und „Oesterverdel“, nur 13 im „Westerverdel“. Die Zahl der Haushalte war in rund 50 Jahren von 75 auf 88 gewachsen. Nur 10 Familien galten als vermögend, vier waren völlig mittellos. Die übrigen gehörten den untersten Steuerklassen und zahlten geringe Beträge zwischen 7 und 21 Pfennig. Einige Bürger fühlten sich nicht zur Steuerzahlung verpflichtet. Möglicherweise bekleideten sie ein öffentliches Amt, Bürgermeister, Ratsherr oder Schöffe. Sie gaben ihren Steuerzettel zurück und der Amtmann notierte kommentarlos: „In de kasten geworpen“.

Steueranlaß Nr. 2: Die Belagerung Münsters, der Krieg gegen die Wiedertäufer. Wiederholt kamen die Landstände zusammen, um notwenige Steuern auszuschreiben. In den meisten Fällen blieb die Pfarrgeistlichkeit steuerfrei. 1589 wurden die Feuerstellen, d. h. die Wohnungen des „Clerus secundarius“ mit einer Steuer belegt und Pastor Henrich Hölscher bekennt die Zahlung von einem Taler „wegen twier Fürstedde, so in der Wedenhove (Pfarrhof) sind“.

Wesentlich höher als die Handwerker- und Tagelöhnerfamilien in der Stadt wurden die Höfe und Kotten der Bauerschaften mit Steuern belegt. Zwischen 2 und 7½ Gulden schwanken die Forderungen, die die Steuerkommission bei der Türkensteuer 1544 an die Bauern stellte. Nach einigen Änderungen und Anpassungen wurde um 1580 eine endgültige Steuerliste vorgelegt. Und von nun an bis zum Ende der fürstbischöflichen Herrschaft im Jahre 1802 blieb das Steuerquantum der Sendenhorster Höfe unverändert. Dafür veränderte sich die Häufigkeit der Zahlung. Bis zum Jahre 1600 wurde die Kirchenspielschatzung Jahr für Jahr erhoben. Bis zum Jahre 1630 zwei- bis dreimal jährlich. 1634 achtmal und ab 1695 monatlich. Aus einer gelegentlichen Besteuerung zum Regierungswechsel war eine feste, monatliche Steuer geworden.

    


Stadt profitierte von französischen Reformgesetzen | NN


Sendenhorst - Mit der fünften und letzten Folge „Aus der Geschichte Sendenhorsts“ geht heute die Veranstaltungsreihe des Bildungswerkes zu Ende. Heinrich Petzmeyer wird zum Abschluß über den Zeitraum von der Dreifelderwirtschaft bis zur Flurbereinigung sprechen und damit einen Abriß der Geschichte der heimischen Landwirtschaft geben. Am vierten Abend hatte Heinrich Petzmeyer die „Franzosenzeit“ zum Inhalt seins Vortrags gewählt. - Selten erlebte das Münsterland so wechselvolle und aufregende Zeiten wie in den ersten beiden Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts. Napoleon, der sich bald Kaiser der Franzosen nennen sollte, rückte bis an den Rhein vor, verdrängte die Preußen aus ihren Besitzungen jenseits des Rheins und veranlaßte die Entschädigung durch Übertragung des Fürstbistums Münster. Im August 1802, ein Jahr bevor der „Reichsdeputationshauptschluß“ die Gebietsübertragung offiziell absegnete, besetzten preußische Truppen das Münsterland. Tausend Jahre geistlicher Herrschaft gingen zu Ende.

Die Preußen galten als tüchtig, gründlich und korrekt. Gewissenhaft versuchten sie, die neuen Gebiete optimal zu verwalten. Eine Kommission bereiste den späteren Kreis Beckum und erstelle ein Gutachten über die Wirtschaftskraft der einzelnen Städte und Gemeinden. Danach hatte der Ackerbau für die Stadt Sendenhorst keine sehr große Bedeutung. Die Stadtfeldmark war viel zu klein. Die meisten bewirtschafteten Ländereien waren gepachtet. Die Handwerker arbeiteten nur für den Bedarf von Stadt und Kirchspiel. Auch die drei Branntweinbrenner (wahrscheinlich Beumer-Everke, Böcker und Schulze Tergeist) produzierten nur für den örtlichen Bedarf. Geringe Mengen wurden nach Münster ausgeführt. Anders stand es mit dem Haupterwerbszweig der Sendenhorster, der Leineweberei. Beinahe jede dritte Familie beschäftigte sich mit dem Spinnen und Weben von Leinen. 55 hauptberufliche Weber verkauften ihre Produkte an den Warendorfer Großhandel. Einige Bürger – so der Bericht – kauften im Frühjahr mageres Vieh auf, weideten es auf gepachteten Kämpen und trieben die fetten Tiere im Herbst auf die Märkte im Osnabrückschen.

Die Preußen duldeten keine private oder ausländische Konkurrenz. Das galt besonders für das Postwesen, das seit 1742 von der Kaiserlichen Thurn- und Taxischen Posthalterei Bonse am Südtor besorgt wurde. Unter dem vergeblichen Protest Gerhard Henrich Bonses wurde am 7. Mai 1803 das kaiserliche Postschild heruntergenommen und zum Rathaus gebracht.

Ende April 1806 erlebte Sendenhorst den verheerendsten Brand seiner Geschichte. In wenigen Stunden brennen 154 Privatgebäude nieder, dazu sämtliche öffentlichen Gebäude wie Kirche, Pastorat, Schulen, Rathaus usw. Obwohl man seit einigen Jahrzehnten eine Brandversicherung kennt, verbleibt ein ungedeckter Schaden von 67.526 Taler.

Eine preußische Baukommission sorgt dafür, daß die Straßen beim Wiederaufbau verbreitert werden, daß die Misthaufen vor den Türen verschwinden und daß die Häuser östlich und südlich des Kirchplatzes an anderer Stelle wiedererrichtet werden. Nord- und Südstraße werden durch eine Straße verbunden; die Neustraße (auch Remisenstraße und im tausendjährigen Reich Adolf-Hitler-Straße) entsteht. Aus dem Wolbecker Tiergarten weist die Kommission 260 Bäume zum Wiederaufbau der Fachwerkhäuser an. Ein Teil des Bauholzes wird kostenlos, der andere Teil verbilligt abgegeben. Der König von Preußen sagt 10 000 Taler aus außerordentlichen Mitteln zu. Die Hälfte der Gelder wird jedoch erst 1817 angewiesen, der Rest noch 1842 angemahnt. Da man aber inzwischen soviel Besitzänderungen erlebt hatte, sah man sich nicht mehr in der Lage, das Geld anteilmäßig unter den Brandgeschädigten zu verteilen. Der Stadtrat beschloß, die Mittel dem Kirchbaufonds zu überweisen.

Nur wenige Wochen nach der Brandkatastrophe werden die Preußen von Napoleon besiegt und aus den Gebieten westlich der Elbe vertrieben. Große Teile des heutigen Nordrhein-Westfalens werden von Napoleon zum Großherzogtum Berg, Landeshauptstadt Düsseldorf, zusammengefaßt. Für Sendenhorst gilt folgende Verwaltungseinteilung: Departement Ruhr, Arrondissement Hamm, Kanton Ahlen (ab 1811 Sendenhorst) und Mairie Sendenhorst. Die Sendenhorster Verwaltung, an der Spitze Bürgermeister Langen (nach dem die Stadt vor einigen Jahren die Langenstraße benannte) war offensichtlich pro-französisch eingestellt. Die Stadt profitierte von den französischen Reformgesetzten, der Gewerbefreiheit, der Bauernbefreiung, der Verbesserung des Zivilrechts. Als Verwaltungsmittelpunkt für Albersloh, Amelsbüren und Everswinkel erlebte die Stadt bis zur Rückkehr der Preußen eine gewisse Blüte.

Als Napoleons Armee im Winter 1812/13 auf den Eisfeldern Rußlands zugrunde gegangen war, waren die Tage französischer Herrschaft im Münsterland gezählt. Zwar hatte Bürgermeister Langen im Sommer 1813 Napoleon noch als den „allergrößten Monarchen, unseren Beschützer“ gefeiert, wenige Monate später schon war die Franzosenzeit vorbei. Als Vorhut preußischer Truppen dringen Kosaken in Sendenhorst ein, erpressen hohe Lebensmittel- und Futterlieferungen und verlangen außerdem die Anfertigung von Wintermänteln durch 30 eiligst zusammengerufene Schneider.

Nach ostelbischem Vorbild organisieren die Preußen im Frühjahr 1814 den Landsturm, dem alle waffenfähigen Männer angehören müssen. Die Einrichtung stößt bei der Bevölkerung auf Mißtrauen und Ablehnung. Von dem angeblichen Patriotismus der „Freiheitskriege“ („Der König rief und alle, alle kamen“) ist in Sendenhorst nichts zu merken. Der Landsturm ist, in vier Kompanien eingeteilt, die mit Piken bewaffnet, einmal monatlich und zwar sonntags nachmittags, zum Exerzieren auf die Osenheide ziehen. Der Landsturm hat die öffentlichen Gebäude zu bewachen, Gefangene und Deserteure zu begleiten sowie von der Truppe Entwichene festzunehmen. Den Akten ist zu entnehmen, daß allein vom 2. Bataillon der Westfälischen Landwehrinfanterie mehr als 300 Mann desertiert waren. Im Sommer 1814 hielten sich zahlreiche Deserteure im sog. Ketteler Horst auf. Der Sendenhorster und Everswinkler Landsturm sollte sie in einem geheimen Kommandounternehmen festnehmen. Ob die Aktion erfolgreich war, steht nicht bei den Akten.

1816 nahm Preußen endgültig von der Provinz Westfalen Besitz. Sendenhorst wurde dem Kreis Beckum zugewiesen. Ein Jahr später wurde das Stadtgericht nach Ahlen verlegt. Für viele Jahrzehnte war die Aufwärtsentwicklung der Stadt vorbei.

    


Von der Befestigung Sendenhorsts - Die vier Stadttorhäuser | NN


Sendenhorst - Nach urkundlichen Berichten traf im Jahre 1323 Sendenhorst die erste große Brandkatastrophe. Sendenhorst brannte vollständig nieder. Als Bischof Ludwig II., Landgraf von Hessen (1310-1357)...

Bild:
Stadttor unterhalb der Burg von Lindenfels im Odenwald. - So oder ähnlich könnten die Stadttore ausgesehen haben. (aus: www.weitwanderungen.de)


...das Stift Münster regierte, ließ er es wieder aufbauen und mit Wall und Graben befestigen. Wahrscheinlich hat er auch gleichzeitig dem Ort Wigboldsrechte verliehen, da er 1315 zum ersten Mal als oppidum (Stadt) genannt wird. Die Befestigungsanlage bestand aus Stadtgraben, den Erdwällen und vier genau den Himmelsrichtungen entsprechenden Toren, die rechts am Ausgange der Stadt standen. Viereinhalbjahrhunderte schützten Wall und Graben die Bewohner vor Raub und Mordgesindel, und die Tore gewährten tagsüber Fremden gegen Einzugsgeld Einlaß.

Im Jahre 1778 wurden nun die Wälle und Gräben zum größten Teil planiert und gut 60 Jahre später (1841) mußten auch bis auf das Osttorhaus die Stadttorhäuser der Entwicklung des Stadtbildes weichen. Durch Ratsbeschluß vom 25. Februar 1804 waren sie zum letzten Mal erneuert, damit die Tore des Nachts wieder geschlossen werden konnten. In den Torhäusern wohnten um 1840 Pförtner, und zwar im Osttorhaus vermutlich Geißler, im Südtorhaus Tagelöhner Wessel, im Westtorhaus Tagelöhner Klosterkamp und im Nordtorhaus Tagelöhner Schroeder. Die Bewohner hatten keine Miete zu zahlen und auch für den dazugehörenden Garten keine Pacht. Ihre Gegenleistungen gegenüber der Stadt bestanden in der Erhebung der Einzugsgelder und Schließung und Öffnung der Tore. Außerdem hatten die Pförtner für die Gemeinde die etwa vorkommenden Bestellungen im Kirchspiel zu erledigen. Auch zu kirchlichem Dienst wurden Sie herangezogen. Die Karfreitagsprozession und Brandprozession zogen an den Befestigungsanlagen der Stadt vorbei. Die Ordner sorgten für Ordnung.

Das Osttorhaus brannte 1806 nieder. Es wurde etwas abseits wieder aufgebaut an dem heutigen Platze, während das Südtorhaus 1749 und das Westtorhaus 1751 dem Brande zum Opfer fielen. Bei ihrer Wiederherstellung waren Sie über die Straße hinweg gebaut worden. Die Torhäuser bestanden aus der Durchfahrt, einer Küche, einer Stube, zwei Schlafzimmern, einer Diele ohne Steine und einem Brettertor. Das Südtorhaus nebst Hof hatte laut Auszug aus der Mutterrolle für die Katastralsteuer eine Größe von 15 Ruthen 18 Fuß, das Westtorhaus von fünf Ruthen 17 Fuß und das Nordtorhaus von vier Ruthen 73 Fuß.

Mit der Zeit waren die Torhäuser, außer dem Osttorhaus, baufällig geworden und drohten einzustürzen. Auch verloren Sie immer mehr ihre Bedeutung, da der Graben an vielen Stellen durch die Planierung der Wälle zugeworfen war und somit kein Hindernis mehr war. Die Stadt war so, auch wenn die Tore geschlossen waren, nicht mehr befestigt.

Am 16. Mai 1840 fand dann unter Bürgermeister Brüning eine Sitzung statt, die den Abbruch dreier Torhäuser zum Gegenstand der Beratung hatte. Das Osttorhaus mußte indes bestehen bleiben, da es erst in jüngster Zeit wieder erbaut worden und das Arrestlokal darin untergebracht war. Die Gemeinderäte stimmten dem Verkauf auf Abbruch zu und gestatteten den Ankäufern, dort eine neue Wohnung in der ungefähren Größe der alten zu bauen. Sie machten zur Bedingung, daß die neue Wohnung aber so weit vorgeschoben werden müsse, daß die Front nicht nach der Straße hin vorspringe, sondern mit den übrigen an der Straße liegenden Häusern eine grade Linie bilden mußte. Die Abschätzung der Häuser nahmen die Gerichtstaxatoren Feiling und Schmetkamp von hier vor. Das Südtor wurde auf 110 Rthl., das Westtor auf 82 Rthl. und das Nordtor auf 115 Rthl. getaxt. Am 21. November 1840 wurden die drei Torhäuser meistbietend auf Abbruch verkauft. Das Südtorhaus kaufte der Posthalter Nikolaus Bonse für 251 Rthl. Gebote gaben hier ab: Lütkehaus 238 Rthl., Tierarzt Bernhard Leußner 239 Rthl., Nikolaus Bonse 240 Rthl., Leußner 241 Rthl., Bonse 242 Rthl., Leußner 243 Rthl., Bonse 244 Rthl., Leußner 245 Rthl., Bonse 246 Rthl., Leußner 250 Rthl., Bonse 251 Rthl. Zu dem Verkauf des Westtorhauses wurde im ersten Verkaufstermin der Zuschlag nicht erteilt. Am 30. September 1840 wurde es dann an den Gastwirt Wilhelm Böcker für 135 Rthl. verkauft. Es boten: Weber Balth. Panning 132 Rthl., Gastwirt Wilhelm Böcker 133 Rthl., Panning 134 Rthl., Böcker 135 Rthl., Das Nordtorhaus kaufte der Tischler Anton Bröcker für 231 Reichsthaler.

Die beiden alten Süd- und Nordtorhäuser wurden im Sommer 1841 und das Westtorhaus etwas später abgebrochen und von den Ankäufern neue Häuser errichtet. Ein Teil des bisherigen Hausplatzes diente der Verbreiterung der öffentlichen Straße.

Mit dem Abbruch der Torhäuser gingen die letzten Wahrzeichen unserer ehemals befestigten Stadt verloren. Sendenhorst war nunmehr eine offene Stadt.

    


Nur viermal im Jahr gab es ein halbes Pfund Fleisch im Gefängnis | H. Petzmeyer


Sendenhorst -  Auch Ehestreit Polizeisache / Mann mißhandelt seine Frau / Arrestant vom Pfarrer zu christlichem Lebenswandel ermuntert

Sendenhorst. Ein Ehestreit steht im Mittelpunkt des zweiten Seminarberichts von Heinrich Petzmeyer:
Nicht alle Sendenhorster, die einen Paß beantragten, wollten ihrer Vaterstadt für immer den Rücken kehren. Die sogenannten Hollandgänger wanderten aus, um während der Sommermonate auf den Wiesen Hollands als Grasmäher zu arbeiten. Die Arbeit war schwer, Reichtümer waren nicht zu gewinnen. Die 15 Hollandgänger des Jahres 1828 brachten jeder nur 10 bis 15 Taler Ersparnisse mit nach Haus. Von Zeit zu Zeit, „wenn das Gras nicht geraten“, mußten sie erfolglos zurückkehren.

Bild: Ziel vieler Saisonarbeiter aus dem armen Münsterland und somit auch Sendenhorst im 19. Jahrhundert: Das damals schon wirtschaftlich starke Holland


Wer preußischer Staatsangehöriger war, konnte nur über seinen Geburtsort einen gültigen Paß erhalten. 1855 wandte sich Professor Dr. Geilern aus York in England an das Bürgermeisteramt Sendenhorst, um eine Reiseerlaubnis nach England über Köln zu erhalten. Dieser gelernte Sohn unserer Stadt war der Heimatforschung bisher unbekannt.
In der Akte „Gesuche und Ertheilung von Reisepässen für das Ausland“ im Stadtarchiv Sendenhorst sind die ungültig gewordenen Pässe abgeheftet. Auf diese Weise erfahren wir etwas über die ausgedehnten Handelsreisen der jüdischen Mitbürger. Der Kaufmann Salomon Alsberg z.B. (Signalement: 36 Jahre, fünf Fuß vier Zoll = 1,60m, Haare Schwarz-braun, Augenbrauen dunkelblond, Augen grau, Nase dick und stumpf, Gesichtsfarbe gesund, Statur gesetzt), reiste von 1850 bis 1852 zu den Messen nach Braunschweig und Leipzig, sowie zu weiteren Geschäften nach Köln und Aachen.
Die Paßakte ist eine wertvolle Quelle über beachtliche Bevölkerungsbewegungen in der angeblich so geruhsamen, unveränderlichen, guten alten Zeit. Nicht minder Aufschlußreich sind die beiden Aktenbände „Ordnungspolizei 1830-86“ und „Sicherheitspolizei 1831-79“. Polizeiakten mit ihren Untersuchungen, Anzeigen und Ordnungsstrafen geben zwar nur die Übertretungen der Normen wieder, immerhin läßt sich aus ihnen die gültige Norm erschließen. Die folgenden Begebenheiten sind also nicht typisch für das Sendenhorster Alltagsleben, sie zeigen aber, wo nach weitgehend übereinstimmender Meinung von Bevölkerung und Obrigkeit die allgemeine Norm (das gesunde Volksempfinden) verletzt wurde.
Um ihre Aufgaben auch handfest und nachdrücklich erfüllen zu können, besaß die Stadt Sendenhorst nicht nur einen Polizeidiener, sondern auch ein Polizeigefängnis. In einer öffentlichen Ausschreibung erhielt der Wirt Untiedt 1833 als Geringstbietender den Zuschlag zur Lieferung von Speisen an das Gefängnis. Der Speisezettel, für ein volles Jahr im voraus festgeschrieben, gibt wohl die Ernährungsgewohnheiten der Normal-Sendenhorster jener Zeit wieder. Täglich erhielten Manns- und Frauenspersonen ein Pfund „gutes, ausgebackenes Schwarz-Roggenbrod“. Zum Brot wurde abends Salz gereicht. Dazu gab es mittags eine warme Mahlzeit, ausschließlich „Durchgemüse“. Wirt Untiedt lieferte im wöchentlichen oder vierzehntäglichen Wechsel Erbsen, Kartoffeln, Kartoffeln mit Sauerkohl, Graupen (Zutaten: Graupen, Butter, Salz und Mehl), Wurzeln, Rumpfortsuppe (Zutaten: Erbsen, Gerstengrütze, Kartoffeln, Fett, Salz, Essig), Kohlrüben mit Kartoffeln und Bohnen. Fleisch sucht man vergeblich auf dem Speiseplan. Dafür mußte schon ein ganz besonderes Ereignis eintreten: Ein halbes Pfund Fleisch und ein viertel Quart Bier stand den Gefangenen nur zu Weihnachten, Ostern und Pfingsten sowie am Geburtstage des Landesherren zu.
Als Repräsentant der Ordnungspolizei fühlte sich Polizeidiener Degenhardt für Ruhe und Ordnung in der Stadt verantwortlich. Er nahm seine Aufgabe sehr genau und betrachtete auch Ehestreitigkeiten zu seinem Ressort gehörig. So steht zum Beispiel 1831 aufgrund der Klagen der Ehefrau des Leinewebers Anton S.: „Sie würde von ihrem Manne gewaltsam mißhandelt, er habe sie geschlagen, gestoßen und darauf mit einem Tritt vor den Hintern mit den Worten „Packe dich“ zur Haustür herausgeworfen.“
Als Ursache ihres ehelichen Zerwürfnisses gab die Mißhandelte an, „sie wäre ein armes Mädchen aus hiesiger Stadt und habe fast nichts mit in die Ehe gebracht. Ihr Mann habe dieses alles gewußt und erklärt, es wäre schon gut, er habe alles. Nunmehr, da sie wohl mehr als zwei jahre in der Ehe gelebt und ihr Mann keine Liebe mehr zu ihr verspüre, hielte er ihr dieses nicht allein täglich vor, sondern quäle sie den ganzen Tag. Es möchte sein, was es wolle, sie könnte es ihm nicht recht machen und täte ihm nie genug. Er wäre faul, streitsüchtig und geizig und wollte gut leben. Obwohl es ihnen an Milch, Gemüsen und Korn nicht fehle, so sollte sie doch betteln gehen. Sie schäme sich aber dieses zu tun, arbeite dagegen so viel wie man von ihr verlangen könne.“
Zum Beweis ihrer Enthüllungen zeigte die Ehefrau der Polizei braune Flecken auf der linken Backe, braune Flecken am rechten Arm und einen blutig geschlagenen kleinen Finger. Polizeidiener Degenhardt ließ den Ehemann vorführen, verhörte ihn und überwies ihn kurzerhand in den Arrest. Befragungen der Nachbarn in den nächsten Tagen ergaben kein klares Bild über die ehelichen Verhältnisse. Der Arrestant brachte die Polizei in Verlegenheit, weil er sich tagelang weigerte, Nahrung zu sich zu nehmen. Besorgt notierte Degenhardt: „Der Arrestant habe heute Morgen Wasser genommen, aber noch kein Brod, des Mittags ebenfalls nichts, am Abend wollte er noch kein Brod noch ein Butterbrod.“
Fünf Tage später schließt die Akte mit folgendem Protokoll: „Nachdem der S. wegen der seiner Frau zugefügten groben Mißhandlungen und seines während des Arrests erwiesene unbeugsamen Trotzes durch Abweisung von Lebensmitteln nach vier Tagen aus dem Arrest entlassen wurde, wurde ihm seine sträfliche Lebensart ernstlich verwiesen und er zu einem ruhigen thätigen Lebenswandel aufgefordert.“ Um seine polizeilichen Maßnahmen dauerhaft zu verstärken, schickte Degenhardt den widrigen Ehemann zum Pfarrer, damit „er von diesem zu einem christlichen lebenswandel ermuntert und zu ehelicher Eintracht ermahnt werden möge.“

    


Pferd am Südpol-Tresen - Auch ohne Schlitten die Wette gewonnen | NN


Sendenhorst -  "Ich glaub, mich tritt ein Pferd", mag mancher Gast am Donnerstag abend in der Gaststätte Vossding-Knobbe gedacht haben, als er seinen Augen nicht traute. An der Theke "lehnte" in der Tat ein leibhaftiges Pferd.

Bild:
In den 1990ern Jahren hat A. Knobbe den Südpol geschlossen.... Bild von 1920


Und das kam so: Im Fenster vom Friseur Höne steht ein toller Schlitten, fachmännisch bearbeitet von Bernhard Hölscher. So einen Schlitten müsste man haben, ein Pferd dazu, und dann würden wir durch die Stadt fahren", meinte Jürgen K., frischgebackener Ehemann und alter Stammgast in der Gaststätte "Zum Südpol". Du kriegst doch nie im Leben ein Pferd um diese Zeit", provozierte Richard M. seinen Thekenbruder. Aber dieser, für ausgefallene Sachen immer zu haben, nahm die Herausforderung an. "Wetten, dass ich in der nächsten halben Stunde ein Pferd hier stehen habe...."

Und Wirt Alfons Knobbe hielts nicht für möglich und glaubte an einen Witz, als ihn beim Schnapsausschenken auf der Kegelbahn die Kunde erreichte: Da steht ein Pferd an der Theke und wartet auf Bedienung! Aber das Pferd war nicht zu übersehen!

Nach eifrigen Telefonieren hatte es Jürgen K. geschafft: Er und ein richtiger Gaul von Rudolf "Witten" Wessel waren vom Südgraben bis "zum Südpol" getrabt und hatten dafür gesorgt, dass Richard M. 50 Liter Bier zu bezahlen hatte.

Noch bevor diese 50 Liter Bier allerdings - trotz zugkräftiger Hilfe von zwei Tennisdamen - geschluckt waren, hatte sich das Pferd vornehm und rückwärts aus der Gaststätte wieder zurückgezogen. Echter Hafer war ihm lieber als flüssige Gerste. Zur geplanten Schlittenpartie ist es allerding nicht mehr gekommen, denn 50 Liter Bier machen nicht nur Pferde scheu

    


Abbruch - Häuser haben bewegte Vergangenheit | NN


Sendenhorst -  Kürzlich sind auf dem Schleiten, an der Weststraße und an der Ecke Kirchstraße/Schulstraße alte Häuser abgebrochen worden. -

Bild:
Schönes?, Altes Sendenhorst (hier Drostenhof)


Das Haus auf dem Schleiten gehörte 1926 Theodor Bücker und war 100 Jahre zuvor als Haus Nr. 201 von einer Familie Frenking bewohnt. Sie bestand aus 6 Personen, einem Ehepaar im Alter bis zu 60 Jahren, einem Knaben unter 15 und einem Mädchen unter 15 und zwei weiteren Personen unter 60 Jahren. Zum Viehbestand zählten 1826 zwei Kühe und zwei Schweine.

Das Haus Wallmeyer an der Weststraße war 1826 von einer Familie Borghorst bewohnt. Sie zählte vier Personen im Alter von 15 bis 60 Jahren; zwei davon waren miteinander verheiratet. Der Viehbestand der Familie Borghorst bestand aus fünf Kühen und zwei Schweinen.

Das Haus Ww. Hubert Siekmann hatte früher die Haus-Nr. 237. Daneben befand sich das Haus Nr. 238, das 1924 zum Abbruch kam und als Geschäftshaus wieder aufgebaut wurde. 1826 bewohnte das Haus Nr. 237 eine Familie Vennewald, bestehend aus 5 Personen: Ehepaar und zwei weitere Personen unter 60 Jahren, eine Person über 60 Jahre. Zum Viehbestand zählen drei Kühe und ein Schwein. Das Haus Nr. 238 bewohnte 1826 eine Familie Schotte, die sich aus vier Personen zusammensetzte: 2 Personen im Alter von 15 bis 60 Jahren, 2 weitere über 60 Jahren. Sie nannte im Vergleich zu den anderen genannten Familien nur eine Kuh ihr eigen.

    


Am Anfang standen zehn „Gesellen“ - Kolpingfamilie feiert 80jähriges Bestehen | Ulrich Lieber


Sendenhorst -  Sendenhorst - 80 Jahre Kolpingfamilie in Sendenhorst: ein runder Geburtstag, den die heutigen Mitglieder am Sonntag in angemessenem Rahmen feiern wollen. 80 Jahre, die auch das Leben in der Stadt Sendenhorst mitgeprägt haben. 80 Jahre, die voller Höhen und Tiefen waren.

Dieses Foto entstand im Jahr 1931. Damals unternahm die Sendenhorster Kolping-Familie einen Ausflug zum Grab Adolph Kolpings nach Köln. Anton Hölscher (stehend, 9. v. l.) ist auch heute noch dabei.

Einer der ersten war Anton Hölscher, mittlerweile 87 Jahre alt und seit 1926 aktiv in der Kolpingfamilie tätig. Er kramte im Archiv und weckte alte Erinnerungen. Am 21. Januar 1914 versammelten sich zehn Gesellen zu einer Vorbesprechung, um einen katholischen Gesellenverein zu gründen. Mit der Unterstützung der Geistlichen wurden die Statuten des Vereins ausgearbeitet und den zuständigen Stellen in Münster zur Genehmigung vorgelegt. Die eigentliche Gründungsversammlung fand dann am 8. März 1914 statt.

101 Mark betrug der erste Kassenbestand des Gesellenvereins. Nach Verlesung der Namen der 60 unterzeichneten Mitglieder erfolgte die Wahl des ersten provisorischen Vorstandes, dem als Senior Heinrich Jansing, als Beirat Johann Happe und Bernhard Arnskötter sowie als Ordner Theodor Drees, Heinrich Kötter, Franz Decker und Bernhard Schlüter angehörten. Erster Präses des Sendenhorster Gesellenvereins wurde Kaplan Fürstenau.

Bild: v. l.) Gerd Fredeweß, aktueller Vorsitzender, Anton Hölscher, Vorsitzender 1933 bis 1945, Josef Bült, 17 Jahre lang Vorsitzender und Anton Schmitz, seit über 20 Jahren Kassierer. Foto: Lieber

Die ersten Aktivitäten folgten schnell. Schon am 29. Juni 1914 starteten die Gesellen einen Ausflug in die Baumberge, doch der Kriegsausbruch im August setzte diesem Aufblühen zunächst ein Ende. Im Laufe der Jahrzehnte wechselten die Vorsitzenden und Senioren des katholischen Gesellenvereins, der später in Kolpingfamilie umbenannt wurde. Aber auch die beiden Weltkriege konnten dem Zusammenhalt der Mitglieder nichts anhaben. Die Gesellen blieben stets aktiv und förderten das Vereinsleben.

Im Februar 1920 wurde eine Sportabteilung gegründet, der 18 Mitglieder angehörten. Ein Jahr später formierte sich eine Musikkapelle, die heute noch in der Sendenhorster Stadtkapelle ihren Bestand hat. Zur gleichen Zeit ging der langgehegte Wunsch nach einer Vereinsfahne in Erfüllung. Weitere Aktionen prägten das rege Vereinsleben in den folgenden Jahren. Erwähnenswert ist dabei der 11. Februar 1931, denn an diesem Tag gründete sich der Kolpingchor, der sich während des Nazi-Regimes in „Männergesangverein Eintracht“ umbenennen mußte. Bedingt durch den Krieg konnten kaum noch Veranstaltungen durchgeführt werden, da zweitweise nur noch zwei aktive Kolpingsöhne vor Ort waren.

Nach dem Zusammenbruch 1945 erwachte bereits im Herbst des gleichen Jahres die Kolpingfamilie zu neuem Leben. 1962 wurde eine Jung-Kolping-Gruppe, Anfang der 70er Jahre eine Judo-Gruppe eingerichtet, die bis 1991 aktiv war. In Verbindung mit der Caritas kümmerten sich die Mitglieder Mitte der 70er um die Resozialisierung jugendlicher Strafgefangener, sammelte alte Möbel für die Spätaussiedler. Als es Ende 70er / Anfang 80er in Deutschland wirtschaftlich nicht so gut aussah, half die Kolpingfamilie Jugendlichen bei der Lehrstellensuche.

Zu den Höhepunkten der jüngsten Vergangenheit gehören die Seligsprechung Adolf Kolpings in Rom, zu der die Sendenhorster Mitglieder reisten sowie die Radioübertragung im August 1993, ebenfalls aus Anlaß der Seligsprechung. Auch heute bietet die Kolpingfamilie ein aktives Vereinsleben, zu dem unter anderem das jährliche Sommer-Schützenfest zählt. Es werden Ausflüge organisiert, für die Senioren plant August Northoff zudem eigene Touren und sorgt mit ihnen für die Grabpflege des Heldenfriedhofs. Pfingst-Fahrradtour, Grünkohlessen und der Einkehrtag gehören zum vielfältigen Angebot. Für einen guten Zweck werden Altkleider gesammelt und zu Weihnachten die Tannenbaumaktion durchgeführt. „Wir können mit ruhigem Gewissen sagen, daß das Werk von Adolf Kolping in Sendenhorst fortgeführt wurde und wird“, zieht Gerd Fredeweß, heutiger Vorsitzender, eine positive Zwischenbilanz.

    


Der Westturm ruht fest auf alten Grevener Schleusensteinen | NN


Sendenhorst -  Am kommenden Samstag, ist es soweit: Die katholische Kirchengemeinde von Sendenhorst wird nach mehrmonatiger Schließung ihres Gotteshauses - wegen dringender Renovierungsarbeiten im Innenraum - wieder feierlich in die vertraute Pfarrkirche ihren Einzug halten.Dieses Ereignis gibt Anlaß, über den vor gut 120 Jahren durchgeführten Neubau der Kirche zu berichten.

Am 15. November 1925 feierte die Kirchengemeinde von St. Martin das Fest ihres Kirchenpatrons und gleichzeitig die 60. Wiederkehr des Tages der Kircheneinweihung. Wegen dieses Jubiläums hat seinerzeit Wilhelm Kleinhans eine Abhandlung über den Kirchenbau geschrieben, aus der nunmehr auszugsweise eine Wiedergabe erfolgt:

„Das frühere Gotteshaus, ein schlichter Bau in romanischem Stil, war eine Kreuzkirche, deren Längsachse 93 Fuß ( = 29m) und Querachse 77 Fuß ( = 25% m) und deren Größe ca. 400 qm betrug. Der Kirchturm der alten Kirche soll nach mündlicher Überlieferung dem Turm der Kirche St. Ludgerus zu Albersloh ähnlich gewesen sein. Um die Besucher der Kirche aufnehmen zu können, befanden sich im Innern der alten Pfarrkirche an der Nord-, Süd-und Westseite Bühnen. Mehrere Brände und der Zahn der Zeit hatten das Gotteshaus stark mitgenommen. Bei dem Großbrand am 29. April 1806, als ein großer Teil der Stadt eingeäschert wurde, brannte der Kirchturm aus, die Glocken schmolzen, und das Mauerwerk des Turmes zeigte weite Risse. Infolge der Kriegsjahre unterblieb die Ausbesserung. Unter der französischen Regierung sollte der Kirchengemeinde geholfen werden. Aus dem aufgegebenen Kloster Kentrup bei Hamm wurden ihr Paramente und kirchliche Geräte überwiesen. Das war auch alles, was geschah. Denn eine vom Landesdirektor des Herzogtums Berg zugesagte Glocke vom Kloser Cappenberg hat den Weg nach Sendenhorst nie gefunden.

Allerdings hatte der große Brand anno 1806 der Stadt zwei große Vorteile gebracht. Das waren einmal einheitliche Straßenzüge und zum anderen ein großer freier Kirchplatz. Somit war die Platzfrage für ein größeres Gotteshaus zwar gelöst, aber wegen fehlender Mittel ein völliger Neubau der Kirche in weite Ferne gerückt. Daher wendeten sich am 17. Juli 1825-Pfarrer Dr. Darup und Bürgermeister Röhr an den Bauinspektor Müser in Münster zwecks Anfertigung eines Entwurfs und Kostenanschlags zum Umbau der Kirche. Müser lehnte den Auftrag zwar nicht ab, dachte aber an die arme Gemeinde und bezweifelte die Aufbringung der Kosten. Im Frühjahr 1829 sollte mit dem Umbau begonnen werden. In dem Jahr konnte nämlich Pfarrer Dr. Darup sein goldenes Priesterjubiläum begehen und da er gleichzeitig Landdechant und Domkapitular war, wurde der Besuch hoher Würdenträger in Sendenhorst erwartet. Das Fest wurde zwar glanzvoll in Gegenwart des Bischofs Gaspar Max Freiherr von Droste-Vischering, mehrerer Domherren und des Oberpräsidenten von Vincke gefeiert, aber noch in der alten Kirche von Sendenhorst Man war lediglich dazu gekommen, vorsichtshalber den Turm zuverankern. Die nach dem Brande ersetzten Glocken waren bereits einmal infolge Berstens wieder umgegossen und nochmals gesprungen. So ließ Pfarrer Dr. Darup im Jahre 1834 durch den Franzosen Boitel hier am Orte vier Glocken gießen und auf den alten Turm hängen.

Am 9. September 1835 wohnte der 79jährige Priestergreis zum letzten Male einer Sitzung über den Kirchenbau bei. In der Sitzung wurde hauptsächlich über die Beschaffung des Steinmaterials verhandelt. Man hoffte, genügend gute Steine im Steinkühler Feld und auf den Grundstücken von Johlmann (heute Halene) brechen zu können. Ein einheimischer Sachverständiger hielt die Steine für tauglich und berief sich auf die Aegidiikaserne in Münster, wo Steine aus diesen Brüchen zu den Fluren Verwendung gefunden hatten. Während bisher nur ein Erweiterungsbau geplant war, kam man in einer Konferenz am 11. Mai 1836 unter dem Vorsitz des Landrats und in Anwesenheit des Bauinspektors Ritter zu dem Entschluß, die Kirche von Grund auf neu zu bauen. Pfarrer Dr. Darup hatte an dieser wichtigen Versammlung nicht mehr teilgenommen, er starb noch in demselben Jahre, am 30. November.

Sein Nachfolger wurde 1837 Pfarrer Bernhard Lorenbeck. Dieser hatte jedoch zum Kirchenbau größere Pläne. Nach den bisherigen Verhandlungen sollte eine einfache Kirche ähnlich der Kirche Glandorf nach den Plänen des Bauinspektors Ritter gebaut werden. Pfarrer Lorenbeck ließ zunächst einige Jahre ins Land ziehen. Durch die Verlegung des Friedhofs aus der Mitte der Stadt zum Osttor im Jahre 1843 wurde für den Kirchenbau freies Gelände geschaffen. Zu derselben Zeit stellte der Pfarrer Pastoratsgrundstücke auf dem Nienkamp am Nordtor zur Ausbeutung des Lehms zur Verfügung und schloß mit dem Ziegelmeister Hartmann aus Amelsbüren einen Vertrag auf Herstellung von Ziegelsteinen zum Preis von 2 Thlr. pro 1000 Stück. Da das Ergebnis des Probebrandes günstig ausfiel, wurde beschlossen, die ganze Kirche im Ziegelrohbau auszuführen. Die im Steinkühlerfeld gebrochenen Steine wurden als untauglich hingestellt und fanden hauptsächlich zu Wege- und Brückenbauten Verwendung. Nachdem die Materialfrage gelöst war, stellte sich der priesterliche Bauherr im Vertrauen auf die Mithilfe seiner Pfarre ganz auf eigene Füße. Am 14. Dezember 1843 wurde dem Herrn Landrat berichtet daß die Pläne des Bauinspektors Ritter als gänzlich unbrauchbar verworfen seien und ganz neue Pläne bei Gelgenheit eingereicht würden. Ein weiteres Jahrzehnt verging aber, ehe das Vorhaben des Pfarrers zur Reife kam.

Seit 1840 war die Schiffahrt auf dem Max-Clemens-Kanal, der hauptsächlich von dem Fürstbischof Clemens August von Bayern (1719 bis 1761) von Münster bis Maxhafen bei Neuenkirchen bei Rheine gebaut war, eingestellt. Das Material der Schleusen kam zum Verkauf. Im Kirchspiel Greven befand sich die Steinschleuse, die Pfarrer Lorenbeck von Greven aus, wo er vorher als Kaplan tätig war, kannte. Er kaufte diese Schleuse für den Kirchenbau an. Die gewaltigen Quader wurden dann durch Fuhren auf schlechten Wegen jahrelang herbei geschafft. Oft brachten vier Pferde nur einen einzigen Stein über die etwa acht Stunden lange Wegestrecke. Die Steine der Schleuse fanden zu dem Sockelmauerwerk und dem großen Westturm der Kirche Verwendung.

Als Pfarrer Lorenbeck durch eine endlich bewilligte Haus- und Kirchenkollekte einen Nettobetrag von 8023 Rthlr. dem bisherigen Kirchenneubaufonds zuführen konnte, ließ er vollständig neue Pläne für eine neue Kirche durch den Dombaumeister Satz aus Köln anfertigen. Der Kostenanschlag nach diesen Plänen betrug 33806Rthlr. Da der Baufonds inzwischen auf 21000 Rthlr. angewachsen war, konnte endlich ans Werk gegangen werden. Zunächst wurde 1853 im Pastoratsgarten eine große Notkirche gebaut. Dann wurde mit dem Abbruch der alten Kirche begonnen. Am 6. Juli 1855 konnte der Pfarrer die fertigen Zeichnungen zur Genehmigung einreichen. Der Baumeister Statz hatte noch Veränderungen vornehmen müssen, „die in Vereinfachung des Baues wegen der Kosten und in der Konstruktion des Daches und des Turmes zur größeren Dauerhaftigkeit dienlich und zulässig sind".

Unter sechs Konkurrenten wurde dem Bauunternehmer Deitmer aus die Ausführung des Baues übertragen. Am Dienstag, dem 21. August.1855, wurde in Anwesenheit des Bischofs Johann Georg der Grundstein gelegt. Der Bau konnte nun beginnen. Der große Kirchplatz glich einem riesigen Steinlager. Hunderte von fleißigen Händen regten sich und Hunderte von Pferden schafften jahrelang Baumaterialien zur Baustelle. Anfangs plante man, für den Ausbau der beiden Chortürme bessere Zeiten abzuwarten, doch Pfarrer Lorenbeck kam zu der Überzeugung, daß diese Türme wohl nie vollendet würden, wenn sie nicht sofort mitgebaut würden. Das Dach war in Schieferdeckung vorgesehen, erhielt aber aus Sparsamkeitsgründen schwarze Tonziegel, die später bei Unwetter immer wieder stellenweise durch Sturm vom Dach geweht wurden. Beim Neubau sah man Pfarrer Lorenbeck tagtäglich im Arbeitskleide auf der Baustelle bald hier, bald dort Hand anlegen, Rat und Anweisungen erteilen. Pfarrer Lorenbeck starb kurz vor der Vollendung des Kirchenneubaues am 6. Januar 1865, tiefbetrauert von der ganzen Gemeinde. Zwei Jahre nach seinem Tode wurde ihm ein Denkmal gesetzt mit der Inschrift: „Dem Erbauer der Kirche - Die dankbare Gemeinde".

Bei schönstem Herbstwetter, in der Martini-Oktav, am 14. November 1865, hielt der Bischof Dr. Johann Georg Müller seinen Einzug in das festlich geschmückte Städtchen, um am folgenden Tage das neue Gotteshaus dem heiligen Martinus zu weihen. Unter dem Nachfolger von Pfarrer Lorenbeck, Pfarrer Reinermann, wurde im Jahre 1868 der große Westturm fertiggestellt und eingeweiht. Seitdem ragt der stolze Bau mit seinen drei Türmen inmitten der Stadt Sendenhorst zum Himmel empor und ruft allen Gläubigen zu: „Sursum corda! Empor die Herzen!"

    

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